Barry Goldsboro: »Honey«

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 2 Min.

Man stellt sich die 60er und frühen 70er ja immer als eine Epoche des Umbruchs vor, der großen Veränderungen, auch in musikalischer Hinsicht. Dabei vergisst man, dass viele Menschen gar keine Lust auf Veränderungen hatten, weil sie das Leben, so wie es gerade war, voll okay fanden.
Die Lohntüte wurde voller und voller, das neue Auto war in der BRD ein Ascona mit vier Türen, ja, man konnte sogar nach Ascona fliegen und dort Urlaub machen. Warum eine Revolution anzetteln, wo es doch viel einfacher war, am Strand den Liegestuhl aufzuklappen! Und woher die Kraft für den Klassenkampf nehmen, wenn die ganze Freizeit für den Bau des Eigenheims draufging.

In dieser Wohlstandswelt kannte man keine Existenzängste mehr. In Amerika war das durchschnittliche Realeinkommen binnen eines Jahrzehnts, zwischen 1960 und 1970, um 50 Prozent gestiegen. Selbst Hilfsarbeiter verdienten Gehälter, von denen heutige Niedriglohnbeschäftigte nicht mal zu träumen wagen.

Diese vergleichsweise sorglose Welt bot reichlich Platz für fette Gefühle. Man suhlte sich in Pathos. Es war eben auch eine Zeit der großen Schnulzen. Keiner schämte sich dafür, wenn kiloweise Schmalz aus einem Song gequetscht wurden. Einer, der es auf die Spitze trieb, war Bobby Goldsboro. Seine Interpretation von »Honey« reizt das Potenzial des todtraurigen Texts bis auf die letzte Träne aus.

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