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Digital vernetzt mit Humboldt
Der Botanische Garten Berlin wird internationales Wissenszentrum der Biodiversität, will aber weiter auch Gartenparadies, Pflanzenschau und Museum für seine Besucher sein
In Gewächshäusern können exotische Pflanzen auch in einer für sie feindlichen Umwelt wachsen. Seit Jahrhunderten gewähren sie den Menschen Einblicke in ferne Lebenswelten. Die Hallenschauen in Glaspalästen sind weltweit Mittelpunkt von Botanischen Gärten mit ihren weitläufigen Freiluftgärten, den Herbarien und wissenschaftlichen Sammlungen. Ihr großartiges Wissen über die Pflanzenwelt und ihren Artenreichtum könnte, global vernetzt, in Zeiten des Klimawandels zum gigantischen Arbeitsspeicher im Ringen um den Erhalt der Biodiversität werden. Allein in Deutschland gibt es 80 Botanische Gärten und 40 Herbarien, meist an Hochschulen. Seit 1995 ist der Botanische Garten in Berlin-Dahlem Teil der Freien Universität (FU), profitiert von ihrem Potenzial.
«Es sind Inszenierungen, die wie hier zum Beispiel die Pflanzenwelt Südamerikas nacherlebbar machen sollen», sagt Nils Köster, Kustos der Tropischen und Subtropischen Lebendsammlung, bei einem Abstecher ins Große Tropenhaus. Wie die anderen Dahlemer Gewächshäuser ist es erst seit Mitte Juni wieder geöffnet, nach einem Jahr Corona-Pause.
Köster verweilt an einer unspektakulären Blattpflanze. «Philodendron Gradifolium» - «Großblättriger Baumfreund» aus dem nördlichen Südamerika, ist auf einem weißen Schild am Boden zu lesen. «Wir wissen aber mehr über jede der hier gezeigten Pflanzen, und das finden wir in unserer Datenbank unter der auf dem Schild vermerkten Akzessionsnummer», sagt der Kustos. Nummer 040-06-89-23/2 gebe Auskunft, dass sein Vorgänger im Amt, der Schweizer Beat Leuenberger, die Pflanze am 1. Februar 1989 fand.
Rund 550 Philodendron-Arten seien heute wissenschaftlich akzeptiert, eine Vielfalt, die man einst gar nicht erkannt habe. Philodendren habe auch Alexander von Humboldt Ende des 18. Jahrhunderts, bevor er zu seinen Forschungsreisen in den «Neue Welt» aufbrach, schon in den Kaiserlichen Gärten von Schloss Schönbrunn bei Wien gesehen.
Auch der Laubkaktus, an dem Nils Köster und Eva Häffner, Wissenschaftliche Koordinatorin, die Spur des großen deutschen Gelehrten Humboldt wieder aufnehmen, macht nicht viel her. Dabei ist «Leuenbergeria Bleo», der in Panama und Nordkolumbien beheimatete «Bleo-Laubkaktus», eine Art Sonderfall der Evolution, so Köster. Einer der wenigen Kakteen, der zugleich auch noch Laubblätter ausbilde. «Wir haben alle 18 Unterarten in unserer Sammlung und damit die weltweit größte Sammlung dieser Gattung», sagt er. Dass im konkreten Fall abermals Leuenberger im Namen auftaucht, gehe auf eine von diesem Ende der 1980er durchgeführten Inventur zurück. Bis heute gebe es für die 1800 Kakteenarten weltweit einen Wildwuchs von 22 000 verschiedenen Namensmeldungen.
Alexander von Humboldt hat diese Art als erster Forscher in Kolumbien entdeckt. Und der Beleg dafür findet sich bis heute in der Sammlung. Im Zweiten Weltkrieg waren große Bestände verbrannt. Heute werden auf zwei Kellerebenen in 20 klimatisierten und gut geschützten Räumen rund vier Millionen gepresste Pflanzen und Samen aufbewahrt. Im Raum K2 befindet sich die «Keimzelle» des Herbariums. Dort werden 20 000 in Mappen abgelegte Pflanzenarten aufbewahrt, die Humboldts Lehrer Carl Ludwig Willdenow (1765-1812) in seinem privaten Herbarium zusammengetragen hat. Es enthält auch etwa 3300 Belege von Pflanzen, die Alexander von Humboldt und sein Begleiter Aimé Bonpland dem Botaniker von ihren Reisen zusandten. 1808 wurden in Berlins Botanischem Garten insgesamt nur 6351 Arten kultiviert.
Den Inhalt der blauen Mappe mit der Nummer 9442 hat Humboldt 1801 selbst zusammengestellt und beschriftet: «Kaktus Bleo». Nur je ein gepresstes Laub- sowie Blütenblatt habe der «alte Pragmatiker» seinem einstigen Lehrer damals geschickt, sagt Köster. Zweifelsfrei lässt sich damit noch heute die «Leuenbergeria Bleo» identifizieren.
Die Willdenow-Sammlung ist vollständig digital erfasst. Ein notwendiger Schritt, dem längst weitere folgen müssten, betont Eva Häffner. Denn bislang sei erst ein Fünftel der gesamten Herbariumsbestände digitalisiert, der weitaus größere Teil sei selbst Experten nicht online zugänglich. «Inzwischen hat aber auch die EU ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass in Sachen Biodiversität vor allem mehr Ressourcen gebraucht werden», sagt sie. Das Herbarium soll bis 2030 vollständig digitalisiert sein. «Das Personal und die nötigen Mittel vorausgesetzt, wäre das auch in fünf Jahren drin», so Häffner.
«Die Besucherzahlen entwickeln sich in Richtung einer halben Million», wie Thomas Borsch«, der Direktor des Botanischen Gartens sagt. Gebäude und Anlagen der vor 110 Jahren in Dahlem eröffneten Einrichtung bedürfen einer Auffrischung. Und so werden die Besucher der 12. Botanischen Nacht, die pandemiebedingt auf das letzte August- und das erste Septemberwochenende verschoben werden musste, ihren Sehnsuchtsort in zentralen Bereichen, wie etwa den Italienischen Garten, als Baustelle erleben.
Insgesamt 17 Millionen Euro aus Fördermitteln der »Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur« (GRW) werden bis 2023 in die touristische Infrastruktur investiert. Für jedermann sichtbar entsteht bis Mitte nächsten Jahres mit dem neuen Besucherzentrum am Königin-Luise-Platz nicht nur ein zeitgemäßes Entree zum Botanischen Garten und vor allem dem Museum, zugleich sollen Informationsangebote, ein Shop und Gastronomie dem Platz selbst zu mehr Aufenthaltsqualität verhelfen. Auch der Garten wird aufgewertet: Noch in diesem Jahr wird die Instandsetzung des nach 1900 angelegten Italienischen Gartens vollendet. Ein neuer Nutzpflanzengarten ist geplant, die Wege im Freigelände werden erneuert und ein verbessertes Leitsystem samt neuer Informationstafeln erhalten. Bis 2023 dürfte die Modernisierung des derzeit geschlossenen Botanischen Museums dauern, das komplett neu konzipiert und umgebaut wird. Rund neun Millionen Euro aus GRW-Mitteln werden dafür sowie für die neue Dauerausstellung ausgegeben.
Borsch und sein Team haben noch sehr viel mehr vor: Unter der neuen Marke »BO Berlin - Internationales Wissenszentrum der Botanik« arbeiten sie auf dem Areal an der Königin-Luise-Straße am Zukunftsprojekt 2021-2030. »Wir bewahren Wissen, wir mehren Wissen und wir teilen es mit der Welt. Im globalen Netzwerk als Knotenpunkt der Biodiversitätsforschung. Und in Berlin als Forum für Natur-Erlebnisse«, sagte Borsch in dieser Woche vor der Presse.
Schon heute ist der Botanische Garten ein Knotenpunkt der internationalen Biodiversitätsforschung. Ein neu gegründetes Zentrum für Biodiversitätsinformatik und Sammlungsdatenintegration koordiniert den Ausbau des Wissens-Hubs. Gemeinsam mit Partnerinstitutionen in aller Welt soll eine global vernetzte Dateninfrastruktur der Botanik geschaffen werden. Es geht darum, künftig globale Entwicklungen zu prognostizieren und für den Artenschutz nutzbar zu machen.
Für die Herausforderungen der Zukunft schöpft der Botanische Garten aus dem Fundus seiner 340-jährigen Geschichte. Und er kann auf seine über 200 Mitarbeiter bauen. In einem zähen Arbeitskampf erstritten sie 2018 die Auflösung einer Billiglohn-Tochter, bei der sie beschäftigt waren. Mit 20 000 Pflanzenarten zählt Deutschlands größter Botanischer Garten zu den bedeutendsten weltweit. Auf 43 Hektar Freigelände unterhält er 15 Gewächshäuser, sein Botanisches Museum ist einzigartig.
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