• Politik
  • Französische Flüchtingspolitik

Leid und Verzweiflung

Der Aktivist Gari Garaialde macht die französische Politik für Tragödien an der Grenze in Irun verantwortlich

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie kam es zur Gründung des Netzwerkes, das hier an der spanisch-französischen Grenze Flüchtlinge unterstützt?

Etwa seit Mitte 2018 trafen in Irun immer mehr »illegale« Migranten und Flüchtlinge ein, um hier über die Grenze nach Frankreich zu gehen. Wir waren damit konfrontiert, dass Dutzende Menschen auf der Straße lagen. Wir haben zunächst ein tägliches Frühstück für sie organisiert, und damit begonnen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wir haben uns solidarisch um einfache Sachen wie Duschmöglichkeiten gekümmert oder sie auch ans Rote Kreuz vermittelt.

Interview

Gari Garaialde ist Fotojournalist und einer der Sprecher des Irungo Harrera Sarea (Hilfsnetzwerk Irun). Ralf Streck sprach mit ihm sprach für »nd« über die heikle Lage von Flüchtlingen an der spanisch-französischen Grenze.

Im nächsten Schritt hat das selbstverwaltete Jugendhaus »LaKaxita« (Häuschen) Räume zum Übernachten, zum Aufenthalt und zum Kochen zur Verfügung gestellt. Es bildeten sich schnell gemeinsame Gruppen, die sich um das Einkaufen und Kochen kümmerten, die Informationen und Kontakte vermittelten. Das war ein toller Austausch. Mittlerweile hat das Rote Kreuz seine Kapazitäten erweitert, denn das Jugendhaus stieß schnell an die Grenzen des dort Möglichen. Offiziell gibt es das von uns organisierte Netzwerk gar nicht, es ist nirgendwo eingetragen oder registriert, aber für alle sichtbar. Denn jeden Morgen von 10 bis 12 Uhr bietet es auf dem Rathausplatz einen Anlaufpunkt für Hilfesuchende.

Beiderseits der Grenze, in Irun wie Hendaye, demonstrierten Tausende gegen die dauernden Grenzkontrollen von französischer Seite. Wie haben die Behörden auf die Proteste reagiert?

Solange ein Problem nicht sozusagen in ihren Händen explodiert, verhalten sich die offiziellen Stellen meist so, als würde es überhaupt nicht existieren. Wenn es dann zu offensichtlich wird, tun sie in der Regel nur so wenig wie möglich. Nach den Protesten haben sie die Stadtverwaltung von Irun und die Verwaltung unserer Provinz Gipuzkoa eingeschaltet. Doch auf der anderen Seite haben wir es mit dem französischen Staat zu tun. Während Spanien die Leute schnell weiter in den Norden ziehen lassen will, mauert Frankreich. Wer es über die Grenze schafft, und dort von der Polizei aufgegriffen wird, wird umgehend nach Irun zurückgebracht. Das geschieht ohne jede Prüfung, ohne die Menschen über ihre Rechte zu informieren oder Asylanträge anzunehmen.

Trifft dieses Muster auf alle Institutionen in Frankreich zu?

Nein, zum Beispiel hat die Stadt Bayonne sehr gut auf die Lage reagiert. Dort existierte auch schon eine Hilfsorganisation. Gemeinsam mit dem Bürgermeisteramt wurde für die Menschen, die von hier aus dort ankommen, eine Art Herberge zum Ausruhen und Übernachten geschaffen. Darauf haben wir mit etwas Neid geblickt. Der Bürgermeister hat sogar eine Bushaltestelle verlegen lassen, damit die Polizei Neuankömmlinge nicht auf dem Weg zu diesem Anlaufpunkt leicht abgreifen konnte.

Was sind das für Menschen, die es nach Irun verschlägt, wie gelangen sie hierher?

Viele stammen aus ehemaligen französischen Kolonien und häufig wollen sie nach Frankreich zu Angehörigen. Zu etwa 95 Prozent handelt es sich um Männer. Die meisten Frauen nutzen andere Routen und Schleuser. Die große Mehrheit gelangte über die Kanarischen Inseln aufs europäische Festland, da der Weg über die Meerenge von Gibraltar durch Marokko versperrt wird, wofür Spanien bezahlt. Deswegen führt die Fluchtroute vieler nach Mauretanien oder die Westsahara und von dort mit Booten auf die Kanaren.

Wie viel schwieriger ist es durch das neue Grenzregime geworden, einen Fuß auf das französische Staatsgebiet zu setzen?

Da es hier nur ein paar Brücken über den Grenzfluss gibt, ist eine Kontrolle relativ einfach. Mit der Covid-Ausrede wurden mitten in Europa solche Kontrollen an einer Grenze wieder eingeführt, die es nicht geben dürfte. Dann hat Paris eine Terrorbedrohung erfunden, um das Schengen-Abkommen auszusetzen. Sogar die Fußgängerbrücke wurde abgeriegelt. Alle Übergänge werden ständig kontrolliert. Das richtet sich vor allem gegen Schwarzafrikaner. Für sie ist es schwer, auf die andere Flussseite zu kommen.

Inwieweit können diese Grenzkontrollen Übertritte tatsächlich verhindern?

Nichts wird damit verhindert, nur das Leid wird gesteigert. 2020 wurden hier in Irun 4100 Personen auf der Durchreise registriert und sie sind hinübergelangt. Wer eine Wüste durchquert hat, über den Atlantik oder das Mittelmeer kam, lässt sich hier von seinem weiteren Weg nicht abhalten. Ich habe mit einem Mann gesprochen, der 19 Tage in einem Boot ausgeharrt hatte. Von 23 Leuten, mit denen er zusammen abgelegt hatte, sind unterwegs 14 gestorben … Der Grenzübertritt ist schwierig geworden, deshalb hatten wir hier in den vergangenen Monaten drei Tote zu beklagen. Die Verzweiflung treibt Menschen dazu, nach gescheiterten anderen Versuchen den Weg durch den Fluss zu probieren. Erst vor kurzem ist dabei der 18-jährige Abdulaye Kulibaly ertrunken.

Der Bidasoa sieht, gerade bei Niedrigwasser, eher ungefährlich aus. Wie machen Sie Neuankömmlingen das Risiko klar?

Lange haben wir das Thema nicht angesprochen. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass jemand versucht, durch den Fluss zu schwimmen. Erst als in Hendaye ein junger Mann gerade noch gerettet werden konnte, ist uns das Problem bewusst geworden. Wir warnen vehement vor den heimtückischen Strömungen und Strudeln dort. Manche werden es dennoch versuchen. Diese Menschen tun in ihrer Not alles, um es auf die andere Seite zu schaffen.

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