Blockierte Ausreise

Nach dem internationalen Versagen folgt die Flucht

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach den Angriffen auf den Flughafen in Kabul in den letzten Tagen sinken die Chancen der wartenden Menschen darauf, eines der letzten Flugzeuge des US-Militärs aus dem Land heraus zu erreichen. Der Weiterbetrieb des Flughafens ab dem 1. September ist Gegenstand von internationalen Verhandlungen mit den Taliban, die in Doha stattfinden.

»Wir leben in Unsicherheit. Wir wissen nicht, was mit uns und unserer Zukunft passieren wird«, hieß in einem Hilfeersuchen von 150 Journalist*innen, über das der afghanische TV-Sender Tolo-News berichtete. Hunderte Afghaninnen und Afghanen mit gültigen Evakuierungsdokumenten sitzen nach Berichten des Senders weiter um den Flughafen von Kabul fest. Sie hätten keine Chance gehabt, auf einen der Rettungsflüge zu kommen und das Land zu verlassen.

Noch am Montag, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, wollte nach Angaben der Deutschen Presseagentur der UN-Sicherheitsrat in New York zusammenkommen, um über eine Resolution abzustimmen, mit der Frankreich und Großbritannien den Druck auf die Taliban erhöhen wollen, Menschen eine sichere Ausreise aus Kabul zu gewähren. Die Vetomächte Russland und China seien offen für Verhandlungen, hätten aber eine Zustimmung noch nicht kundgetan, hieß es aus Diplomatenkreisen.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) versucht derzeit auf seiner Reise durch die Anrainerstaaten mit der Zusage von 500 Millionen Euro, die Nachbarländer zur Aufnahme von Geflüchteten Afghan*innen zu bewegen. Die Ausreise aus Afghanistan auf dem Landweg gestaltet sich schwieriger. Aktuell seien noch 400 deutsche Staatsbürger*innen im Land, meldet die Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung unter Berufung auf das Außenministerium.

Usbekistan hält derweil seine Grenze zu Afghanistan nach Angaben der Regierung in Taschkent »vollständig geschlossen«. Das Außenministerium der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik dementierte am Montag Medienberichte, wonach der Grenzübergang auf der sogenannten »Brücke der Freundschaft« für afghanische Geflüchtete geöffnet sei. »Das Außenministerium verkündet erneut, dass die Republik Usbekistan keine afghanischen Flüchtlinge auf ihrem Territorium aufnimmt.«

Der Ausreisebedarf bleibt auch bei den afghanischen Ortskräften groß. Nach vorläufigen Zahlen wurden im Rahmen des deutschen Evakuierungseinsatzes nur 138 Ortskräfte und deren 496 Familienangehörige nach Deutschland gebracht. Die insgesamt 634 Menschen stehen den Listen des Auswärtigen Amtes gegenüber, die rund 10 000 Menschen aufweisen sollen. Vollständig seien diese Listen keinesfalls und die Bundesregierung schätzt derzeit, dass mehr als 40 000 Personen einen Bezug zu Ortskräften haben. Schätzungen zufolge kommen zu diesen Zahlen noch eine hohe vierstellige Zahl von Menschen hinzu, die die Gruppe besonders gefährdeter Personen betrifft, zu denen etwa Menschenrechtler*innen und deren Angehörige gehören, beruft sich die Tagesschau auf einen Sprecher des Auswärtigen Amtes. Warum angesichts dieser großen Zahlen die deutsche Evakuierung nicht früher vorbereitet wurde, ist weiterhin nicht bekannt.

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, hat in Genf die Weltgemeinschaft zu Hilfe für Millionen notleidende Menschen in Afghanistan aufgerufen. Nach dem Ende der Evakuierungen und der intensiven Berichterstattung darüber dürfe ihr Schicksal nicht in Vergessenheit geraten, erklärte Grandi.

Innerhalb des Landes am Hindukusch irrten immer noch rund 3,5 Millionen Kinder, Frauen und Männer als Binnenflüchtlinge umher, 500 000 davon seien erst in diesem Jahr vor Gewalt und Terror geflohen. Die meisten Binnenflüchtlinge hätten keinen Schutz. Andere Afghaninnen und Afghanen, die ins Ausland geflüchtet waren, kehrten zurück in die alte Heimat. Alle diese Menschen seien auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Insgesamt brauchen laut den UN 18 Millionen der insgesamt 39 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes Unterstützung.

Nach Angaben der dpa habe der deutsche Unterhändler Markus Potzel in Katar Erfolge bei den Gesprächen mit den Taliban erzielen können. Ortskräfte könnten demnach freies Geleit aus dem Land erhalten, so denn die ersten positiven Signale zutreffen, die aus Talibankreisen zu vernehmen gewesen seien. Fraglich bleibt, ob die derzeit in Afghanistan aktiven Talibanmilizen die Zusicherungen ihrer Führungsgruppe umzusetzen bereit sein werden.»Wir hoffen, dass die vom IS beeinflussten Afghanen ihre Aktionen aufgeben werden, wenn sie sehen, dass eine islamische Regierung ganz ohne die Präsenz von Ausländern gebildet wird«, sagte Talibansprecher Sabihullah Mudschahid am Wochenende der Nachrichtenagentur AFP. Wer die neue Regierung in Afghanistan stellen werde, solle erst nach Abzug der letzten US-Soldat*inne bekanntgegeben werden.

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) fordert nach dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan ein umfassendes Engagement von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft für das Land. »Mit dem Ende der Evakuierungen müssen wir in Deutschland nun sehr schnell Programme und Maßnahmen entwickeln, um den Menschen in Afghanistan weiterhin zur Seite zu stehen«, erklärte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee in Bonn. Das Land und seine Menschen dürften nach 20 Jahren Aufbauarbeit nicht einfach aufgegeben werden, forderte Mukherjee.

Mit den letzten US-Militärflügen seien innerhalb eines Tages rund 1200 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen worden, gab das Weiße Haus in Washington bekannt. Man habe seit Beginn der Evakuierung Mitte August 116 700 Menschen ausgeflogen. Für viele dieser Menschen führt der rettende Weg über das rheinland-pfälzische Ramstein. Auf dem Gelände des US-Luftwaffenstützpunktes, über den auch der US-Drohnenkrieg in Afrika und Asien geführt wird, werden Geflüchtete medizinisch versorgt und in Zelten untergebracht. 15 000 Menschen sollen auf der US-Basis ausharren, bis ihre Weiterreise stattfinden könne. Es seien bereits 8000 Evakuierte in insgesamt 38 Flügen in die USA weitergereist. 1700 Menschen wurden am Montag erwartet. Mit Agenturen

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