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Delta-Variante infiziert Hunderte Indigene

Aborigines sollten beim Impfen priorisiert werden, doch deren Impfquote hinkt weit hinterher

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.

Einer der Gründe, warum Australien rasch auf die Pandemie reagierte und sich abschottete, war, dass das Coronavirus besonders gefährlich für die indigene Bevölkerung des Landes ist. Nun ist das Worst-Case-Szenario eingetreten: Hunderte Aborigines sind infiziert und die Kluft zwischen Indigenen und dem Rest der Bevölkerung wird deutlich.

Wilcannia ist einsam gelegen: 950 Kilometer sind es von hier bis Sydney, über 800 Kilometer nach Melbourne und rund 700 Kilometer bis nach Adelaide. Selbst die nächstgrößere Stadt Broken Hill ist eine zweistündige Autofahrt entfernt. Gerade mal 750 Menschen leben in der abgelegenen Ecke im australischen Outback, großteils Aborigines. Lange Zeit rechnete niemand damit, dass sich das Virus bis hierhin ausbreiten würde.

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Doch das Worst-Case-Szenario passierte, nachdem bei einer Beerdigung Familienmitglieder und Freunde aus anderen Teilen des Landes anreisten und das Virus vermutlich mitbrachten. Inzwischen sind es über 60 Covid-19-Fälle in Wilcannia. Damit ist die Infektionsrate um ein Vielfaches höher als die von Sydneys schlimmstem Hotspot. Erschwerend hinzu kommt, dass die Stadt nur über ein Beatmungsgerät verfügt.

Die Krise hat zudem bereits zu Panikkäufen geführt. Fleisch ist ausverkauft, der einzige Supermarkt im Dorf musste vorübergehend schließen, damit er ausführlich gereinigt werden konnte, nachdem Infizierte dort eingekauft haben.

Ein »nationaler Notfall«

Die sozialdemokratische Politikerin Linda Burney, selbst Indigene, nannte die Situation im Westen von New South Wales, dem Bundesstaat, in dem auch Sydney liegt, einen nationalen Notfall. Gegenüber dem lokalen Sender SBS sagte sie, es sei eine Katastrophe, was sich dort im Westen abspiele. 75 Prozent der insgesamt über 400 Fälle in der Region seien Aborigines und 40 Prozent davon seien Kinder unter 15 Jahren. Sie beschuldigte die australische Regierung, die indigene Bevölkerung hinten angestellt zu haben - und das, obwohl Premierminister Scott Morrison zunächst noch gesagt habe, dass die Impfung der Aborigines eine Priorität sei.

Auch viele der Bürger vor Ort sind inzwischen verärgert und werfen der Politik vor, sie im Stich gelassen zu haben. Monica Kerwin aus Wilcannia sagte vergangene Woche in einem Facebook-Video, sie befürchte, dass das einzige Equipment, das ausreichend vorhanden sei, Leichensäcke seien.

Kluft zwischen Indigenen und dem Rest des Landes

Der staatliche australische Sender ABC meldete zudem vergangene Woche, dass die medizinischen Dienste für die Indigenen vor dem Corona-Ausbruch nicht ausreichend mit Impfstoffen versorgt worden seien. Jamie Newman vom Orange Aboriginal Medical Service soll über Wochen mehr Impfstofflieferungen angefordert haben. Die Leute hätten die Impfungen begrüßt, doch dann habe er innerhalb von 14 Tagen nur 100 bis 200 Impfstoffdosen erhalten. »Damit können Sie die Verbindung zu den Gemeinden nicht aufrechterhalten«, sagte er. Und: »Wir sind genauso wichtig wie die Menschen in Sydney.«

Auch eine aktuelle Recherche der lokalen Ausgabe des »Guardian« zeigte, dass eine große Kluft bei der Impfrate der indigenen und nicht-indigenen Bevölkerung in Australien besteht. Sie bestätigte damit die Vorwürfe von Burney, Kerwin und Newman. In vier Bezirken im Bundesstaat New South Wales ist die Impfrate bei der indigenen Bevölkerung nur halb so hoch wie beim Rest der Bevölkerung. Dabei hatte es im ursprünglichen Kampagnenplan im März noch geheißen, dass Aborigines und die Bewohner der Torres-Strait-Inseln priorisiert werden müssten. Grund ist, dass der Gesundheitszustand vieler indigener Australier schlechter sowie ihre Lebenserwartung nach wie vor niedriger ist als die der übrigen Bevölkerung. Gleichzeitig soll laut ABC die Impfskepsis unter Indigenen hoch sein. Viele würden vor allem den Impfstoff AstraZeneca ablehnen - ein Problem, das die australische Regierung landesweit hat, nachdem die Kommunikation rund um das Vakzin lange verwirrend war.

Hilfsaktion zeigt erste Früchte

Inzwischen ist aber zumindest für Wilcannia Hilfe unterwegs: Seit dem Ausbruch im Westen von New South Wales wurde der Impfstoff von Biontech/Pfizer nun vor Ort gebracht. Sowohl die »fliegenden Ärzte« des Landes wie auch das Militär helfen inzwischen bei der Impfaktion mit. Zudem erhielt der Spendenappell einer lokalen Frau große Resonanz in ganz Australien. Am Wochenende waren bereits über 280 000 Australische Dollar, umgerechnet über 170 000 Euro, gesammelt worden, um Lebensmittel in den abgelegenen Ort zu transportieren.

Taunoa Bugmy, die Organisatorin der Spendenaktion, deren Familie teilweise aus Wilcannia stammt, schrieb in der Petition, dass die Lebenserwartung der Menschen in dem Ort »dramatische 30 Jahre niedriger« sei als die der nicht-indigenen Bevölkerung Australiens. Sie selbst habe viele Angehörige zu früh durch chronische Krankheiten verloren. Der zusätzliche Corona-Ausbruch sei nun eine Katastrophe für die Gemeinschaft. Unser Volk mag »in seiner Spiritualität stark sein«, schrieb sie. »Aber physisch wird dies die Stärke und Widerstandsfähigkeit unseres Volkes wirklich auf die Probe stellen.«

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