Davidstern als Stein des Anstoßes

In einer schleswig-holsteinischen Gemeinde wird eine Mieterin jüdischen Glaubens drangsaliert

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 4 Min.

In der 8500-Einwohner-Gemeinde Heikendorf, nur wenige Kilometer vor den Toren Kiels, sorgt ein Fall von Antisemitismus für Empörung. Bereits im vergangenen Winter hatte ein Vermieter eine Heikendorferin jüdischen Glaubens drangsaliert und sie aufgefordert, umgehend einen Davidstern zu entfernen, den sie an ihrer Wohnungstür befestigt hatte. Das Symbol störe den Hausfrieden, erklärte er zur Begründung. Damit nicht genug, meinte er auch noch, das Symbol könnte Zusammenrottungen muslimischer Männer zu Protesten vor dem Gebäude auslösen. Ende 2020 reichte der Vermieter gar Klage gegen die Frau ein. Später zog er sie zwar zurück. Doch inzwischen übermittelte er der in dem Mehrfamilienhaus angefeindeten Bewohnerin eine Eigenbedarfskündigung.

In Zeiten, in denen sich antisemitische Vorfälle häufen, ist Solidarität mit Betroffenen von enormer Bedeutung. Doch die Heikendorferin, die anonym bleiben möchte, erfuhr nur wenig Zuspruch und Unterstützung. Immerhin der Pastor Joachim Thieme-Hachmann und seine evangelische Kirchengemeinde setzen sich für sie ein. Thieme-Hachmann war es auch, der Ende Juni den ungeheuerlichen Vorgang in seinem Gemeindebrief öffentlich machte.

Am Sonntag wollen zudem Antifaschisten gegen Antisemitismus demonstrieren. Für die Initiator*innen der Kundgebung, die aus der Kirchengemeinde kommen, ist es unbegreiflich, warum überhaupt ein Gericht im Jubiläumsjahr von 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland eine Klage auf Beseitigung eines Davidsterns angenommen hat. Das schreiben sie in einer Petition mit dem Titel »Kein Platz für Antisemitismus in Heikendorf«. Befremdlich sei auch, dass das Gericht es für nötig erachtete, ein Gutachten zur Prüfung einer etwaigen Beschädigung der Wohnungstür durch die Klebebandbefestigung des Sterns in Auftrag zu geben, bevor die Klage zurückgezogen wurde.

Die Vorgänge in Heikendorf sind mittlerweile auch bei der Landesweiten Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus (LIDA) in Schleswig-Holstein registriert worden. Sie werden dort als Beispiel von Alltags-Antisemitismus eingestuft. Pastor Thieme-Hachmann, der die Onlinepetition initiiert hatte, erhoffte sich daraufhin auch Unterstützung aus der Kommunalpolitik, von Vereinen und Verbänden. In der Petition heißt es: »Es braucht ein klares Signal der hier lebenden Menschen, dass sie für diese Überzeugung und ein friedliches Miteinander eintreten.« Doch mit Ausnahme der Linken hüllen sich die Vertreter der Parteien, aber auch örtlicher Initiativen in Schweigen. Walter Blender, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein, findet das enttäuschend. Ferienzeit und Corona könne man da nicht als Ausrede gelten lassen, sagte er gegenüber »nd«.

Unterdessen hat der Sicherheitsbeauftragte beim Zentralrat der Juden in Deutschland der Betroffenen eindringlich geraten, das Mehrfamilienhaus nicht mehr zu betreten. Die Empfehlung des Zentralratsvertreters lässt sich nur in einer Weise interpretieren: In dem Gebäude kann sich die Frau nicht mehr sicher fühlen.

Offenbar angesichts der bevorstehenden Demonstration hat sich die Heikendorfer Gemeindevertretung nun doch zu Wort gemeldet, allerdings ohne sich zum konkreten Fall zu äußern. In einer gemeinsamen Erklärung aller dort vertretenen Parteien heißt es, man lehne jegliche Form von Antisemitismus wie auch das Infragestellen der Glaubens- und Religionsfreiheit unmissverständlich ab.

Wie es der Terminkalender will, wird am Sonntag in der Kleinstadt nicht nur demonstriert, sondern auch ein neuer Bürgermeister gewählt.

Das Bündnis gegen Antisemitismus Kiel teilte unterdessen mit, die Betroffene habe zuletzt bei aller Beunruhigung versichert, sie befinde sich in sicherer Obhut. Wegen diverser Umtriebe von Alt- und Neonazis in und um Heikendorf hatte es bereits am 31. Oktober vergangenen Jahres eine von mehr als 700 Menschen besuchte Demonstration gegeben. Erst Anfang August war der Heikendorfer Finanzmakler und Sammler von Nazikunst und Wehrmachtswaffen, Klaus-Dieter F., wegen unerlaubten Besitzes von Waffen, Munition und Sprengstoff vom Kieler Landgericht zu einer 14-monatigen Bewährungsstrafe und zur Zahlung von 250 000 Euro verurteilt worden.

Startpunkt für die Demonstration ist am Sonntag um 14 Uhr der Heikendorfer Wochenmarktplatz (Schulredder). Neben der Kirchengemeinde rufen der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Landesverband der Jüdischen Gemeinden, die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Schleswig-Holstein und Antifa-Gruppen dazu auf.

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