Wenn der Fluss zur Pfütze wird

Der Stausee Elephant Butte am Rio Grande war einst der größte künstliche See der Welt. Nun droht er auszutrocknen

  • Johannes Streeck, Elephant Butte
  • Lesedauer: 6 Min.

»Als es kurzzeitig hieß, der Wasserstand könnte auf ein Prozent der Kapazität sinken, hab ich schon mal nach anderen Wohnorten geguckt«, sagt Edna Trager. Sie steht hinter dem Tresen von Zia Kayak Outfitters, dem Kajakverleih und Angelladen, den sie mit ihrem Ehemann in Elephant Butte betreibt. Der Ort liegt im US-Bundesstaat New Mexico und trägt den gleichen Namen wie der Stausee, an dessen westlichem Ufer er liegt. Ein Urlaubsort im heißen Süden des Staates, erbaut auf sandigem Boden.

Die Hauptstraße von Elephant Butte endet dort, wo das Seeufer beginnt. Oder zumindest dort, wo das Seeufer einmal war. Mit einer Länge von über 60 Kilometern war das Reservoir einst der größte künstliche See der Welt, ein massiver Wasserspeicher mitten in der kargen Halbwüste. Heute, über hundert Jahre nach seiner Anlegung, schwankt der Wasserstand zwischen fünf und sieben Prozent seiner Kapazität. Nachdem im Juni die Schätzung gemacht wurde, er könne diesen Herbst bei nur noch einem Prozent des Fassungsvermögens landen, stabilisierten Monsunregen diese Woche den See bei fünf Prozent. Trotzdem: In Elephant Butte bleibt zunehmend das Geschäft mit den Bootsbesitzer*innen aus, sagt Trager. Sie wollen nicht riskieren, die Propeller ihrer Boote im flachen Wasser des Stausees zu nutzen. Im Vergleich zu anderen habe ihr Geschäft es noch gut, meint sie, denn »um Kajak zu fahren, braucht man zum Glück nicht so viel Wasser«.

Wasserintensive Landwirtschaft ohne Stausee nicht möglich

Elephant Butte staut den Rio Grande, ein Fluss, der in den Bergen Colorados entspringt und einen Bogen quer durch New Mexico macht. Ab El Paso, einer Stadt im fernen Westen von Texas, markiert der Rio Grande die internationale Grenze zwischen den USA und Mexiko und mündet schließlich über ein breites Flussdelta in den Atlantik. Rio Grande bedeutet auf Spanisch »großer Fluss«, der Name geht auf Pueblo- und Navajo-Sprachen zurück, die in der Region gesprochen werden. Groß ist der Rio Grande eigentlich nicht, dafür ist er für diesen wasserarmen Bundesstaat aber umso relevanter. Die Städte von New Mexico liegen allesamt entlang des Flusses. Der Elephant Butte ermöglicht seit seiner Stauung im Jahr 1916 nicht nur die wasserintensive Landwirtschaft im südlichen New Mexico, sondern versorgt auch noch einen großen Teil von Texas.

Wer New Mexico verstehen will, muss sich immer diesen Mangel an Wasser vor Augen halten, sagt John Fleck. »Wir werden von dieser Trockenheit definiert.« Fleck leitet das Zentrum für Wasserressourcen, ein Sonderbereich an der staatlichen Universität in der Hauptstadt Albuquerque, zwei Autostunden nördlich von Elephant Butte. Fleck beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit Wasser und ist zum Experten geworden in den komplexen bürokratischen Vorgängen und ökologischen Zusammenhängen, die das Thema im Westen der USA bestimmen.

Zentral ist dabei der Colorado River Compact, eine Reihe von Vereinbarungen, die nicht nur die Verteilung des gleichnamigen Flusses regeln sollten, sondern auch von wichtigen Zuflüssen, die bis nach New Mexico reichen. Fleck erklärt, dass bei den Verhandlungen im Jahr 1922 ganz bewusst mit viel zu optimistischen Vorhersagen gerechnet wurde. Die ausnahmslos weißen und männlichen Repräsentanten der betroffenen Bundesstaaten konnten unbesorgt mit nicht vorhandenem Wasser wirtschaften, um sich gegenseitig politische Gefallen zu tun. Bis alle vereinbarten Dämme und Kanäle gebaut wurden, sagt Fleck, »war der größere Teil eines Jahrhunderts vorbei«.

Spätestens seit den späten 1990er Jahren ist klar, dass es weitaus weniger Wasser im System gibt, als die Verträge vorgesehen haben. Die Unterzeichner des Vertrages sind lange tot, und der Rio Grande droht vollständig zu versiegen. Für den Colorado, der dem Rio Grande seit den 60er Jahren notwendiges Wasser überträgt, hat die zuständige Wasserbehörde Mitte August zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen akuten Notstand ausgerufen. Der Fluss versorgt 40 Millionen Menschen mit Wasser.

Vertrocknete Überreste von Fischen im Gestrüpp

Am nördlichen Ende des Elephant Butte Reservoirs zeigt sich die Trockenheit ganz konkret. An einem Campingplatz vorbei führt dort eine schmale Straße zu einer großen, betonierten Bootsrampe, die in sandigem Boden endet. »Angeln und Schwimmen verboten«, steht hier noch etwas überflüssig in amtlicher Schablonenschrift auf dem Steg. Bis zum Wasser selbst sind es ab hier mittlerweile noch mehrere hundert Meter. Dazwischen wird der Boden mit jedem Schritt ein wenig sumpfiger, bis der träge fließende Rio Grande zwischen den hochgewachsenen Gräsern erscheint. Hier ist der Fluss etwa so breit wie ein Fußballfeld und bahnt sich langsam seinen Weg in das obere Ende des Reservoirs.

Je weiter man dem Wasser auf seiner Reise folgt, desto breiter macht es sich in dem riesigen Reservoir. Einen Kilometer südlich der alten Bootsrampe wird aus dem Fluss eine lebendige Sumpflandschaft, in der Dutzende von Vogelarten ihr Zuhause finden. Weitere drei Kilometer weiter wirkt der Stausee wie eine versiegende Pfütze am Fuß der Berge. Die vertrockneten Überreste von Fischen, die im Gestrüpp liegen sowie die Linien der alten Wasserstände auf dem hellen Gestein verweisen auf stattfindende Veränderungen.

Städte in New Mexico bereiten sich auf Wasserknappheit vor

John Fleck ist optimistisch, was die Zukunft der Städte im trockenen Westen der USA anbelangt. Sein Zuhause Albuquerque hat es über die letzten 30 Jahren durch eine Reihe von Innovationen geschafft, den durchschnittlichen Wasserverbrauch seiner Bewohner zu halbieren. Die Städte werden »schlauer und schlauer«, sagt er. New Mexicos Landwirtschaft, die fast 80 Prozent des knappen Wassers beansprucht, wird aber nicht die gleichen Möglichkeiten haben.

»Es wird viel Leid geben«, bestätigt ein Bauer aus Derry über die Aussichten mit immer knapper werdendem Wasser. Er ist zwar bereit, ein paar Fragen zu beantworten, möchte seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Derry darf schon längst nicht mehr aus dem Rio Grande schöpfen, obwohl der Fluss durch diese und andere von Latinos geprägten Gemeinden unterhalb des Elephant Butte Reservoirs fließt. Statt Wasser aus dem Fluss nehmen zu können, betreiben die Landwirte hier teure Pumpen, mit denen Grundwasser an die Oberfläche gepumpt wird. Wie viel Wasser es unter der Oberfläche überhaupt noch gibt, »weiß keiner so genau«, sagt der junge Bauer. Um Derry herum bauen Farmer zunehmend Pekannüsse an, obwohl sie besonders viel Wasser brauchen, da diese hochprofitabel sind.

Mittlerweile gibt es Abmachungen mit den Wasserbehörden von El Paso, einem Hauptabnehmer des Wassers des Rio Grande: Die Bauern der Region werden dafür bezahlt, Felder nicht mehr zu bestellen - so bleibt mehr Wasser für die Städte. Vorstellen kann sich der Bauer aus Derry das für die eigene Familienfarm nicht. Er zeigt auf ein brachliegendes Feld auf der anderen Straßenseite: »Wie soll das aussehen?«

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