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Nicht nur der Bahnstreik ärgert die Nutzer
Fahrgastverband IGEB fordert schnelle Verbesserungen bei Bussen und Straßenbahnen
Seit Donnerstag wird auch der Personenverkehr von der Lokführergewerkschaft GDL bestreikt. Betroffen von der bis Dienstagmorgen geplanten dritten Runde des Arbeitskampfes ist unter anderem die Berliner S-Bahn. So fällt beispielsweise die Ringbahn komplett aus. Fahrgäste in der Hauptstadtregion müssen auf andere Verkehrsmittel ausweichen und sich auf längere Wartezeiten einstellen. Der Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB, Jens Wieseke, wiederholte auch am Donnerstag seine Forderung nach einem verbindlichen Mindestangebot bei Arbeitsniederlegungen. »Es ist traurig, dass dazu aus der Berliner Politik keine Regelung kommt«, so Wieseke bei einem Pressegespräch.
Bei der IGEB frage man sich, ob der aktuelle Streik noch verhältnismäßig sei. Die Deutsche Bahn war am Mittwoch auf die Forderungen der GDL zugegangen und hatte ein neues Angebot vorgelegt. Zumindest eine positive Entwicklung sieht Wieseke in der rechtzeitigen Ankündigung der aktuellen Streikrunde. Er hofft nun auf eine Schlichtung zwischen Bahn und GDL.
Doch auch ganz ohne Streik könnte es nach Ansicht des Fahrgastverbands besser laufen in Berlin. »Unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie werden zusätzliche Hürden für die Nutzung des Nahverkehrs aufgebaut«, kritisierte der IGEB-Vorsitzende Christfried Tschepe. Gemeint ist hier zum einen, dass auch bei dem seit Juli wieder möglichen Vordereinstieg in Bussen Ticketkäufe mit Bargeld ausgeschlossen sind. »Ein barrierearmer Zugang heißt auch, dass nicht nur mit Smartphone und Kreditkarte bezahlt werden kann, sondern ebenso mit Bargeld«, betonte Tschepe. So erschwere die jetzige Regelung unter anderem älteren Fahrgästen die Nutzung.
Als problematisch sieht der Fahrgastverband ebenfalls den Test eines Systems des Ein- und Auscheckens bei den Berliner Verkehrsbetrieben an. Mit dem neuen Fahrkartenmodell soll eine Berechnung des Preises anhand der Länge der Fahrstrecke erprobt werden.
»Das wäre ein Rückschritt hinter die 1989 eingeführte Umweltkarte, womit Barrieren für die spontane Nutzung aufgebaut werden würden«, erklärte Tschepe. Auch Jens Wieseke machte deutlich: »Bei der Luca-App zur Kontaktdatenerfassung war mein Rekord ein zwölfstündiger Restaurantbesuch, weil ich vergessen habe, mich auszuchecken. Sicherlich werden zwölfstündige Busfahrten mit so einem System auch bei der BVG passieren.«
Kurz vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus zog der Fahrgastverband auch eine Bilanz der vergangenen Legislaturperiode. Das Papierwerk - wie beispielsweise das Mobilitätsgesetz oder der Nahverkehrsplan - bewertet er positiv. Doch an der Umsetzung hapere es. »Der Infrastrukturausbau geht heute generell langsamer als noch vor Jahrzehnten. Dass er aber so langsam vonstattengegangen ist - Stichwort Straßenbahn - ist ein Minuspunkt für den Senat«, kritisierte Tschepe. Als Vorlauf für den Tramausbau müsse das Busangebot verbessert werden, forderte er. Dazu gehöre auch, mehr Busspuren einzurichten. Effektiv seien bisher lediglich 15 Kilometer hinzugekommen, das sei »deutlich zu wenig«, so IGEB-Sprecher Wieseke.
Für den Straßenbahnausbau forderten die Fahrgastvertreter eine ähnliche Vereinbarung wie bei der Infrastrukturoffensive i2030 für den Regional- und S-Bahn-Verkehr. Das gemeinsame Projekt von Berlin, Brandenburg und weiteren Partnern sieht langfristige Ausbauten der Schieneninfrastruktur vor, die bei allen Planungen beispielsweise durch Trassenfreihaltungen berücksichtigt werden sollen. »Dass es das nicht auch für die Straßenbahn gibt, ist ein großes Handicap«, bedauerte Tschepe. So würde eine vergleichbare Vereinbarung unter anderem beim Brückenbau dazu führen, dass Platz für in Zukunft noch hinzukommende Straßenbahngleise fest eingeplant wird. »Brücken sind Jahrhundertbauwerke«, verdeutlichte Tschepe.
Busse und Straßenbahnen - an diesen Stellschrauben müsse in Berlin gedreht werden, um schnell das Angebot auszubauen, ist der Fahrgastverband überzeugt. »U-Bahn-Ausbau bedeutet Jahrzehnte, Straßenbahn hingegen Jahre und Busse, wenn man es richtig macht, Monate«, so Christfried Tschepe.
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