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Gestrickte Adern
»tissue engineering« ist auf dem Weg, in der Medizin der Zukunft künstlichen Organersatz abzulösen und zu ersetzen
Personalisierte Medizin ist ein hehres Ziel. Nicht allein die Erkrankung soll beim Verordnen von Arzneien berücksichtigt werden, sondern auch die individuellen Gegebenheiten des Patienten - genetische Besonderheiten beispielsweise oder das (biologische) Geschlecht. Dazu gehören genau angepasste Prothesen oder Therapien mit individuellen Implantaten.
Bei letzteren bahnt sich inzwischen ein Paradigmenwechsel an. Nicht dem künstlichen Organersatz soll die Zukunft gehören, sondern dem »tissue engineering« - der Regenerierung des jeweils benötigten Gewebes aus körpereigenen Zellen. Das kann entweder direkt im Körper oder im Labor in einem Behältnis mit Nährlösung erfolgen. Für Haut und Knorpel ist das bereits gelungen.
Doch ganz gleich, ob man Gewebe oder zukünftig sogar ganze Organe erneuern möchte, funktionstüchtige Körperzellen allein genügen nicht. Zusätzlich werden Wachstumsfaktoren benötigt. Das sind hormonähnliche Proteine, die die Regenerierung steuern. Und um die benötigte Form vorzugeben, ist ein Gerüst, im Fachjargon Scaffold genannt, unverzichtbar.
Auch dieses Gerüst sollte so natürlich wie möglich sein. Dabei ist ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Nicolas L’Heureux von der Universität Bordeaux einen wichtigen Schritt vorangekommen. Der Forschungsgruppe ist es gelungen, Fibroblasten der Haut für das »tissue engineering« nutzbar zu machen (DOI: 10.1016/j.actbio.2020.01.037).
Im Körper synthetisieren Fibroblasten das Bindegewebe - dessen Grundsubstanz samt Proteinfasern - und schleusen es aus der Zelle aus. Das spielt auch bei der Wundheilung eine wichtige Rolle.
In einem Bioreaktor, versorgt mit Glukose, Aminosäuren, Salzen und Vitaminen, bilden Fibroblasten eine Art von Folien, die dem Bindegewebe sehr ähneln.
Diese Folien enthalten viel Kollagen - genau das Protein, das mit seiner Robustheit und Zugfestigkeit dem Bindegewebe Stabilität verleiht. In schmale Streifen geschnitten, können solche Folien zu Garn versponnen werden. Aus dem lassen sich Scaffolds für die Geweberegenerierung fertigen. Dabei sind alte Handarbeitstechniken gefragt: Nähen, Flechten, Stricken, Häkeln, Weben - alles ist möglich.
So können implantierbare »menschliche Textilien« hergestellt werden, die die Reparatur von Geweben und Organen erlauben. Das Besondere gegenüber allen bisher als Scaffold genutzten Materialien ist, dass diese Textilien nicht nur biokompatibel, sondern wahrhaft biologisch sind. Die Vorteile liegen auf der Hand: Bei ihrem Einsatz sind keine Entzündungen oder gar Abstoßungsreaktionen zu befürchten. Erste Versuche an Schafen haben gezeigt, dass Strickstrümpfe aus solchem Garn sogar dem Blutdruck widerstehen. Sie könnten also bei der Regenerierung von Arterien helfen.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit die Todesursache Nr.1 und der Anteil der Arteriosklerose daran ist riesig. Es ist deshalb eine der großen Herausforderungen des »tissue engineering«, ein geeignetes Scaffold für die Regeneration von Blutgefäßen zu liefern. Eine alte Kulturtechnik wie das Stricken könnte dazu vielleicht den Schlüssel liefern.
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