Viel Geld für wenig Leute

Es ist Zeit, die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich im Wahlkampf zum Thema zu machen

  • Christoph Butterwegge
  • Lesedauer: 3 Min.

Die soziale Frage spielt im laufenden Bundestagswahlkampf bisher nur eine Nebenrolle: Weder wird breit thematisiert, was die nächste Bundesregierung tun muss, um 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche aus der Armut herauszuholen, noch wie verhindert werden kann, dass die Rente von noch mehr als 2,8 Millionen Senioren und Seniorinnen in die Altersarmut führt. Stattdessen warnen Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) vor einer möglichen »Linksregierung«, die - käme sie tatsächlich zustande - das Thema Armutsbekämpfung vermutlich auf die Tagesordnung setzen würde. In den Umfragen bemerkbar macht sich diese Rote-Socken-Kampagne bisher nicht.

Während Merkels 16-jähriger Amtszeit sind die Reichen noch reicher und die Armen noch zahlreicher geworden. Und das, obwohl die wirtschaftliche Lage heute sehr viel besser ist als vor ihrer Amtszeit: 2005 waren 14,7 Prozent der Bevölkerung nach den Kriterien der Europäischen Union »armutsgefährdet« oder genauer: einkommensarm, weil sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hatten. Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2019 sind es 15,9 Prozent der Bevölkerung - mehr denn je seit der Wiedervereinigung vor mehr als 30 Jahren.

Gleichzeitig konzentriert sich der Reichtum in Deutschland bei immer weniger Hochvermögenden. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung entfallen mittlerweile 67,3 Prozent des Nettogesamtvermögens auf das oberste Zehntel der Verteilung. 35,3 Prozent des Nettogesamtvermögens konzentrieren sich beim reichsten Prozent der Bevölkerung. Und das reichste Promille kommt immer noch auf 20,4 Prozent des Nettogesamtvermögens. Dadurch stieg der Gini-Koeffizient auf 0,83, was fast dem US-amerikanischen Vergleichswert entsprach, der üblicherweise mit 0,85 bis 0,87 angegeben wird. Das nach einem italienischen Mathematiker benannte Ungleichheitsmaß beträgt 0 bei Gleichverteilung (alle Personen besitzen gleich viel oder gleich wenig) und 1 bei extremer Ungleichverteilung (einer Person gehört alles).

Auch die jungen Menschen in Deutschland bilden eine sozial zerrissene Generation: 19,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen wuchsen 2005 in einer Familie auf, die armutsgefährdet bzw. einkommensarm war. 2019 galt dies bereits für 20,5 Prozent der Unter-18-Jährigen. Umgekehrt gibt es heute auch so viele reiche Kinder wie noch nie seit 1990: Aus den Steuerstatistiken der Bundesländer geht hervor, wie stark sich ein riesiger Kapitalreichtum bei wenigen Kindern konzentriert. Sehr reiche Eltern verschenken Unsummen aus steuerrechtlichen Gründen an ihre Nachkommen. Vor allem Unternehmerfamilien haben zwischen 2011 und 2014 große Teile ihres Vermögens auf ihre Kinder übertragen - aus Furcht, dass die Erbschaftsteuer für Firmenerben erhöht werden könnte, was übrigens wegen der erfolgreichen Lobbyarbeit ihrer Verbände nicht geschah. Von den steuerfreien Unternehmensübertragungen im Wert von 144 Milliarden Euro, für die Altersangaben verfügbar sind, fielen 37 Milliarden Euro während des genannten Festsetzungszeitraums an Minderjährige. 90 Kinder im Alter von unter 14 Jahren, denen ein Vermögen von mindestens 20 Millionen Euro übertragen wurde, erhielten zusammen 29,4 Milliarden Euro, was im Durchschnitt nicht weniger als 327 Millionen Euro pro Kind ergibt.

Gegenüber der sozialen Ungleichheit darf es keine Toleranz geben: Mit der sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich setzt das Land seine Zukunft aufs Spiel, denn sie ist nicht bloß moralisch verwerflich, sondern auch schädlich für eine Volkswirtschaft. Die extrem ungleiche Verteilung der Einkommen und Vermögen bremst das Wirtschaftswachstum. Je mehr die Sozialstruktur in Arm und Reich zerfällt, umso eher bilden sich Parallelwelten heraus, in denen die Kinder der einzelnen Klassen und Schichten unter sich bleiben. Erkannt werden muss, dass sozioökonomische Gleichheit nicht bloß einen Vorteil für bisher stark Benachteiligte, sondern auch mehr Glück für jedes einzelne Individuum bedeuten und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken würde.

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