Ist eine Branchen-Impfpflicht möglich?
fragen & antworten zu einem seit wochen diskutierten thema
Von Medizinern angestoßen, gibt es bundesweit Überlegungen, dem Kita- und Schulpersonal eine entsprechende Pflicht aufzuerlegen. Doch ist ein solches Vorgehen rechtlich möglich?
Passen Impfpflicht und Grundgesetz zusammen?
Für Deutschland besteht bisher keine Corona-Impfpflicht. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist ein solches Vorgehen auch in Zukunft nicht geplant. Zwar enthält das Infektionsschutzgesetz Paragrafen, die gesetzliche Ausnahmen ermöglichen - wie sich so etwas in der Realität umsetzen lassen würde, steht jedoch zur Debatte.
Entsprechende Maßnahmen können beispielsweise als Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufs- und allgemeine Handlungsfreiheit gewertet werden. In diesem Zusammenhang gilt es zu klären, ob und wie eine Impfpflicht ausreichend Gründe liefert, um den Eingriff in die Grundrechte zu legitimieren. Voraussichtlich müssten Gerichte über einen solchen Sachbestand abschließend bestimmen.
Für die Entscheidungsfindung könnte das Masernschutzgesetz eine wichtige Rolle spielen. Am 1. März 2020 in Kraft getreten, sind demnach alle nach 1970 geborenen Arbeitnehmer von Kindertagesstätten, Schulen und medizinischen Einrichtungen dazu verpflichtet, eine Masernimpfung beziehungsweise ihre Immunität vorzuweisen. Der Gesetzgeber hat die Impfpflicht mit dem Risiko einer ansteckenden Virusinfektion und der lückenhaften Impfung der gesamten Bevölkerung begründet.
Lässt sich das Masernschutzgesetz als Vorlage verwenden?
Wer das Masernschutzgesetz mit einer potenziellen Corona-Impfpflicht vergleicht, mag zwar gewisse Ähnlichkeiten bemerken - eine Musterlösung ist es aber nicht. Hierbei ist zu beachten, dass das Masernschutzgesetz sich an einen konkreten Personenkreis wie beispielsweise Mitarbeiter von Arztpraxen oder Pflegeeinrichtungen richtet.
Übertragen auf das Coronavirus könnte eine tätigkeitsabhängige Impfpflicht gegebenenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Ein genereller Impfzwang würde dagegen eine erhebliche Grundrechtseinschränkung bedeuten, die aufgrund der pandemischen Lage gerechtfertigt sein könnte, aber nicht muss. Diese Frage ist zum jetzigen Zeitpunkt komplett offen und würde abschließend durch das Bundesverfassungsgericht geklärt werden müssen.
Darüber hinaus gilt nach einer Masernimpfung eine lebenslange Immunität als erwiesen, bei Corona-Vakzinen hingegen erforschen Mediziner erst die Wirksamkeit und Dauer gegenüber den verschiedenen Virusvarianten.
Kann der Arbeitgeber Impfungen vorschreiben?
Unternehmen dürfen von ihren Angestellten das Wahrnehmen von Impfangeboten nicht einfordern. Das bedeutet: Mögliche Klauseln in Arbeitsverträgen sind ungültig. Eine Ausnahme bildet jedoch der Gesundheitssektor. Besonders Arztpraxen und Krankenhäuser können von einer Impfpflicht betroffen sein.
Um den Schutz von Patienten zu gewährleisten, haben Arbeitgeber die Option, ein solches Vorgehen anzuordnen. Widerspricht eine Person einem Vakzin, bedeutet dies jedoch nicht automatisch die Kündigung. Denn aus arbeitsrechtlicher Sicht gibt es nichts zu beanstanden. Vielmehr muss das Unternehmen einen anderen Einsatzbereich finden.
Übertragbar ist dieser Sonderfall jedoch nicht auf andere Branchen. Trotzdem: Bei Impfverweigerern kann an eine ordentliche personenbedingte Kündigung wegen Wegfalls der Eignung gedacht werden. Dies wäre beispielsweise bei Angestellten in einem Pflegeheim der Fall, wenn sie sich mit gefährdeten Personen umgeben. Als juristische Sicherheitsmaßnahme käme eine Entlassung aufgrund fehlender oder weggefallener persönlicher Eigenschaften infrage, wodurch eine vertragsgerechte Beschäftigung nicht mehr möglich ist.
Ein solcher Standpunkt steht ebenfalls zur Diskussion, wenn Arbeitnehmer ihre Aufgaben nicht mehr erledigen können, weil ihnen der Zutritt verwehrt wird. Zudem könnten Impfungen als Einstellungskriterium dienen. Ob derartige Maßnahmen und Kriterien rechtlich zulässig sind, muss stets im Einzelfall entschieden werden, wobei es zwischen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und dem Schutz von Kunden und Kollegen abzuwägen gilt.
Der Autor ist Rechtsanwalt und Experte für Medizinrecht der Kanzlei Korten Rechtsanwälte AG. Die K+ Korten Rechtsanwälte ist eine 2003 gegründete Wirtschaftskanzlei mit Standorten in Hamburg, München und Göttingen. Sie bietet mittelständischen Unternehmen Unterstützung und Expertise bei zivil- und wirtschaftsrechtlichen Fragen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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