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Dürftige Bilanz bei den Schulen für alle
Nach fünf Jahren Rot-Rot-Grün tritt das Projekt Gemeinschaftsschule mehr denn je auf der Stelle
Der Frust sitzt tief bei den Vorkämpferinnen und Vorkämpfern des Modells Gemeinschaftsschule. »Obwohl ich bekennende Optimistin bin, stelle ich fest, dass ich langsam ein Gefühl von Ermüdung habe«, sagt etwa Sabine Scholze, die Leiterin der Grünauer Gemeinschaftsschule in Treptow-Köpenick. Ob auf bezirklicher Ebene oder von der Bildungsverwaltung: Man werde überall ausgebremst. »Ich habe wirklich einen dicken Hals«, so Scholze am Mittwochabend bei einer von der Berliner Linksfraktion organisierten Diskussionsrunde zum Stand der Dinge beim Ausbau der Gemeinschaftsschule nach fünf Jahren Rot-Rot-Grün. Und darin war man sich hier dann auch einig: Die Bilanz ist dürftig.
Dabei war das Mitte-links-Bündnis 2016 auch in Sachen Gemeinschaftsschulen mit hehren Zielen angetreten. Man werde die Schulform, die ein inklusives und gemeinsames Lernen von der 1. bis zur 13. Klasse ermöglichen soll, »qualitativ und quantitativ weiterentwickeln«, heißt es im Koalitionsvertrag. Auch werde man »ein Förderkonzept erarbeiten, um die Gründung von neuen Gemeinschaftsschulen attraktiver zu machen«.
Von alldem ist in der nun zu Ende gehenden Legislatur fast nichts eingelöst worden, kritisiert Regina Kittler, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Kittler zufolge bewegt sich die Zahl der Gemeinschaftsschulen nach wie vor auf einem geradezu »kläglichen« Niveau. Insgesamt 25 dieser »Schulen für alle« gibt es in Berlin, das ist lediglich eine mehr als zum Start der Koalition. Das Förderkonzept sei schlichtweg »liegen geblieben«. »Und was es an qualitativen Verbesserungen gab, das haben die Schulen selbst geschafft«, so Kittler.
Nicht auf die Schulform abgestimmte und somit letztlich sinnfreie Vorschriften, zu volle Klassen bei zugleich überdurchschnittlich vielen Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, zum Teil kilometerweit auseinandergerissene Schulstandorte: Die Liste der beklagten Versäumnisse ist lang. Wobei sich der Unmut nicht zuletzt daran entzündet, dass der Spitze der Bildungsverwaltung das Projekt inzwischen weitgehend egal sei.
Robert Giese, Leiter der Fritz-Karsen-Schule in Neukölln, sagt mit Blick auf Bildungssenatorin Sandra Scheeres und ihre Staatssekretärin Beate Stoffers (beide SPD): »Wir empfinden die politische Ebene nicht als Unterstützung, nicht als Wertschätzung, sondern im Gegenteil: Wir müssen uns immer wieder durchsetzen in einzelnen Punkten, um unsere Arbeit machen und uns weiterentwickeln zu können.«
Auch Carola Ehrlich-Cypra vom Elternnetzwerk Berliner Gemeinschaftsschulen moniert die fehlende Rückendeckung: »Wer Gemeinschaftsschulen nicht will, das ist Sandra Scheeres.« Völlig unverständlich, findet Ehrlich-Cypra, die sich bei den Grünen engagiert. Schließlich zeige das Beispiel der Wilhelm-von-Humboldt-Schule, wie erfolgreich diese inklusive Schulform sein kann. 2020 feierte die Pankower Schule den besten Abiturdurchschnitt Berlins. »Das ist ein Kraftakt, aber es ist möglich«, so Ehrlich-Cypra.
Auf der politischen Habenseite lässt sich dagegen nur festhalten, dass die Gemeinschaftsschule 2018 - gegen massive Widerstände der Opposition - zur schulstufenübergreifenden Regelschulart ins Schulgesetz aufgenommen wurde. »Immerhin das haben wir geschafft«, sagt Linke-Politikerin Kittler. Aber sie wolle nicht um den heißen Brei herumreden: »Es wäre schön gewesen, wir hätten noch ein paar Pflöcke einschlagen können.« Natürlich, sagt Kittler, hoffe sie darauf, dass die Linke im kommenden Senat vertreten sein wird. Ihr ambitioniertes Ziel: »Wir wollen 100 neue Gemeinschaftsschulen in den nächsten fünf Jahren haben.«
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