Werden Verschwörungstheorien gefährlicher?

Dr. Schmidt erklärt die Welt: Was es mit Verschwörungstheorien auf sich hat

Werden Verschwörungstheorien gefährlicher?

Nach 9/11, dem islamistischen Anschlag auf das World Trade Center in New York vor 20 Jahren, gab es viele, die eigene Überlegungen und Nachforschungen dazu anstellten – erstmals im Internet. Das war also auch ein Update von Verschwörungstheorien, oder?
Könnte man in der Tat als Modernisierung bezeichnen. Verschwörungstheorien aber gab es schon immer. Der Klassiker ist seit dem Mittelalter die Wahnidee, die Juden seien an allem schuld.

Dr. Steffen Schmidt
Dr. Steffen Schmidt, Jahrgang 1952, ist Wissenschaftsredakteur des »nd« und der Universalgelehrte der Redaktion. Auf fast jede Frage weiß er eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eine andere.
Christof Meueler fragt nach Verschwörungstheorien.

Im Prinzip hat jede Verschwörungstheorie einen antisemitischen Kern.
Viele, aber nicht alle. Es gibt ja auch Verschwörungstheorien eher lustiger Art. Zum Beispiel das Gerücht, dass die US-Armee in einem Sperrgebiet in der Wüste von Nevada Aliens, die auf Ufos angereist seien, verstecken würde. Oder dass Elvis Presley noch leben würde.

Wie würdest du die Enthauptung der Kommunistischen Partei durch Josef Stalin sehen? War das Stalins Privatverschwörungstheorie oder systemimmanent?
Jede Diktatur, die sich verstetigt hat, tendiert zu einer gewissen Paranoia.

Je mehr Trotzkisten er umbrachte, desto weniger konnten ihm gefährlich werden, aber desto mehr hat er sie gefürchtet.
Desto mehr musste er sie erfinden. Was ihn nach dem Zweiten Weltkrieg zu der absurden Idee führte, es gäbe eine Verschwörung der jüdischen Ärzte gegen ihn. Da verbindet sich seine Paranoia mit seiner Angst vor Ärzten.

Pizzagate, Reptilien leben getarnt als Menschen unter uns ... – durch das Internet scheint der Wahn die Massen besser ergreifen zu können. Zumindest, wenn man sich die Anhänger von Donald Trump anschaut. Vieles ist Primitiv-Fantasy für den Alltagsgebrauch.
Aber nicht primitiver als manche Science-Fiction- oder Spionageromane. Die haben vielleicht ein bisschen mehr Handlung drum herum, aber die Plots sind oftmals dieselben. Einige Verschwörungstheorien haben sogar literarische Quellen. »Die Protokolle der Weisen von Zion«, der Dauerbrenner der Antisemiten, wurde im 19. Jahrhundert aus französischen Unterhaltungsromanen zusammengepanscht. Heute aber weiß man oft nicht mehr so genau, ob die Verschwörungstheorien aus der Literatur kommen – oder ob die Literatur sie aufgreift.

Und dagegen hilft nur die gute alte Aufklärung?
Das ist schwierig, weil die Verschwörungstheorien so gebaut sind, dass jedes Argument gegen sie quasi wieder ein Beweis für die Verschwörung ist. In Joseph Hellers Roman »Catch 22« ist der Protagonist als Soldat der Meinung, dass der Zweite Weltkrieg nur begonnen wurde, um ihn umzubringen. Das ist in gewisser Hinsicht nicht ganz falsch, weil Krieg dafür da ist, gegnerische Soldaten umzubringen. Aber es ist eben niemand persönlich gemeint.

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