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Grüner wird’s nicht

Annalena Baerbock hat es im Osten schwerer als ihre Kontrahenten. Woran liegt das?

  • Max Zeising, Halle
  • Lesedauer: 5 Min.

Irgendwann reichte es Annalena Baerbock. Ein älterer Herr mit etwas zerzausten langen grauen Haaren, der sich auf der Ziegelwiese in Halle unter die Anhängerschaft der Grünen gemischt hatte, war bereits mehrfach durch lautstarke Unmutsbekundungen über die Partei aufgefallen. Zunächst hatte sich die Kanzlerkandidatin, die am Mittwochvormittag zu einem Wahlkampftermin in die Saalestadt gereist war, vom Gezeter des Mannes nicht irritieren lassen - doch nach einer Weile hatte sie genug und wandte sich direkt dem Störenfried zu. Woher der Strom in Zukunft kommen solle, fragte dieser. »Na, aus der Steckdose«, witzelte Baerbock trocken - und kehrte umgehend wieder zurück zu gewohnter Ernsthaftigkeit: »Entscheidend ist, dass der Strom in Zukunft klimaneutral ist.«

Die Spitzenfrau der Grünen hatte am Mittwoch einen Termin der etwas komplizierteren Sorte zu absolvieren. Sie war unterwegs in Ostdeutschland - wo ihre Partei auch 30 Jahre nach der politischen Wende immer noch deutlich weniger Zuspruch erfährt als im Westen: Laut einer Umfrage von »Wahlkreisprognose« vom 31. August können die Grünen in den alten Bundesländern mit 17,5 Prozent der Stimmen rechnen, in den neuen Ländern nur mit 7,5 Prozent.

Die Umfragewerte aber waren am Mittwoch nicht Baerbocks Hauptproblem. Während der Veranstaltung in Halle, zu der Hunderte Anhänger gekommen waren, gab es gleich mehrere Störeinflüsse: Da war einerseits dieser grauhaarige Herr, der in seinen Zwischenrufen auch gleich mehrfach die Corona-Pandemie leugnete. Da war Sven Liebich, stadtbekannter Rechtsextremist und ehemalige Führungsfigur des mittlerweile verbotenen Neonazi-Netzwerks »Blood & Honour«, der gleich nebenan eine Gegenkundgebung veranstaltete. Vor Baerbocks Auftritt wurden zudem Flyer der vor allem durch Großflächenplakate bekannt gewordenen Anti-Grünen-Kampagne verteilt, auf denen vor einer angeblichen Zerstörung Deutschlands gewarnt wird.

Von alledem ließ sich Baerbock bei ihrem Auftritt aber offenbar nicht beeindrucken. Sie spulte ihre Rede ab, faktenorientiert, vollzog einen inhaltlichen Schwenk vom Thema Klimaschutz über soziale Gerechtigkeit bis zur Situation in Ostdeutschland. Hinsichtlich der Entwicklung des Ostens seit der politischen Wende zog die 40-Jährige gebürtige Hannoveranerin, die seit vielen Jahren in Brandenburg lebt, ein eher positives Fazit: »Wären nicht im Jahre 1989 so viele mutige Menschen auf die Straße gegangen, hätte es die vielen Veränderungen gar nicht gegeben.« Nun sei im Osten »ein neuer Aufbruch« nötig, und zwar »nicht nur in den großen Städten«: Baerbock versprach, Bahnhöfe im ländlichen Raum wieder stärker anzubinden und die Digitalisierung voranzutreiben. Wie schon zuletzt im Bundestag gab sie sich vorsichtig kapitalismuskritisch: »Diese neoliberale Politik« könne nicht so weitergehen.

Solche Sätze kamen beim eher jungen Publikum auf der Ziegelwiese durchaus an: Abgesehen von den Störfaktoren am Rande gab es viel Applaus, die Leute klatschten und johlten. Nach ihrer Rede konnte sich Baerbock kaum losreißen, stand noch für Autogramme und Fotos parat. Der Zuspruch tat ihr offensichtlich gut, während die tatsächlichen Aussichten aufs Kanzleramt immer weiter schwinden. Nach einem starken Beginn der Wahlkampagne im April und Mai, als die Grünen in der Wählergunst sogar führten, fielen sie erst hinter die CDU und dann auch hinter die SPD zurück. Nun sehen sie sich - wie auch in Halle - vermehrt Hasskampagnen von Rechtsextremisten ausgesetzt, man denke etwa an die »Hängt die Grünen«-Plakate der Kleinstpartei »III. Weg«.

Baerbock unter Gleichgesinnten

Und noch ein weiteres Problem, das am Mittwoch keine große Rolle spielte, kommt hinzu: das der Umfragewerte im Osten. Auf der Ziegelwiese in Halles Innenstadt, wo viele Studenten leben und eine Menge Kultur geboten wird, konnte sich Baerbock noch im wesentlichen unter Gleichgesinnten wähnen. Deutlich rauer ist dagegen die Luft im ländlichen Raum, aus dem immer noch viele gut ausgebildete Menschen wegziehen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni beispielsweise offenbarte sich ein beträchtlicher Unterschied hinsichtlich des Zuspruchs zwischen Stadt und Land: In Halle kamen die Grünen auf 13,9 Prozent, in Magdeburg auf 10,8 Prozent. In vielen ländlichen Regionen hingegen erreichten sie nicht einmal die Fünf-Prozent-Hürde. Anders formuliert: Grüner als auf der Ziegelwiese wird's in Sachsen-Anhalt nicht mehr.

Dabei kann man den Grünen sicher nicht vorwerfen, sie hätten die Dörfer des Ostens nicht auf dem Schirm, würden bloß Politik für besserverdienende Großstadt-Wessis machen wollen - Baerbocks Rede in Halle zeigte genau das Gegenteil. Auch wenn beispielsweise die Partei Die Linke die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen Ost und West schon immer etwas stärker betont hat, auch wenn die SPD mittlerweile ganz offensiv mit einem »Aufbruch Ost« statt eines »Nachbaus West« wirbt, auch wenn die AfD schon mal die »Wende 2.0« forderte - gerade gegen einen CDU-Kandidaten Armin Laschet, der als rheinischer Katholik im atheistischen Osten total unbeliebt ist, könnte für die Grünen mehr drin sein.

Doch zwischen der Partei und der ostdeutschen Bevölkerung gibt es eine Barriere, die sich nur schwer erklären lässt. Dies zeigte jüngst ein Beitrag der »Zeit«-Journalistin Valerie Schönian, die zwei Tage lang mit dem Bus quer durch Sachsen-Anhalt fuhr und die vom öffentlichen Nahverkehr weitgehend abgeschnittene Landbevölkerung mit den verkehrspolitischen Grundsätzen der Grünen konfrontierte. Sie stieß, trotz offensichtlicher Notwendigkeit einer Mobilitätswende gerade im Osten, zumeist auf Gleichgültigkeit oder Ablehnung. »Wenn leere Busse durchs Land fahren, bringt es auch der Umwelt nichts«, zitierte Schönian einen Busfahrer. Ein anderer: »Die spinnen, die Grünen!«

Welche Rolle spielen Ost-Erfahrungen?

Vielleicht hat diese Ablehnung auch etwas mit ostdeutschen Erfahrungen hinsichtlich massiver Umbrüche zur Wendezeit zu tun. Der Soziologe Steffen Mau spricht von den Ostdeutschen als einer »veränderungserschöpften Gesellschaft«. Und die Grünen werden, obgleich auch andere Parteien durchaus für Veränderungen stehen, obwohl beispielsweise die Linke Klimaneutralität bis 2035 fordert (Grüne: bis 2041), für jegliche »Zumutungen« im Sinne des Klimaschutzes verantwortlich gemacht - etwa den Verzicht auf Autos, Fleisch und Flugreisen. Das populistische Schlagwort: »Verbotspartei«.

Als Annalena Baerbock nach knapp zwei Stunden in den grünen Wahlkampfbus stieg und wieder abfuhr, ließ sie diese Probleme zurück. Sie hatte in Halle, wo die meisten Menschen mit der Straßenbahn fahren, aber auch fast keine Gelegenheit, sich damit wirklich auseinanderzusetzen. Nächster Halt: Frankfurt am Main.

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