- Politik
- Arbeiterkampf bei Bosch
»Ich hoffe, dass wir ein Vorbild sind«
In München kämpfen Klimaschützer und Arbeiter gemeinsam für den Erhalt einer Bosch-Fabrik und die Umstellung der Produktion
Die Gruppe kommt mit schnellen Schritten. Es sind Dutzende Menschen in gelben Westen, die an einem Freitagnachmittag Mitte September im Osten von München in die Trudinger Straße einbiegen. Hier befindet sich die Bosch-Fabrik in Berg am Laim, ein länglicher Backsteinbau. Neben dem Eingang des Werkes gibt es eine Bushaltestelle mit einem Zeitungsstand, in der sonst eher ruhigen Wohngegend sind einige Wahlplakate angebracht. Die Gruppe mit den Westen macht abrupt vor dem Werkseingang halt. Zwei Aktivisten klettern auf das Dach. Neben den großen Bosch-Buchstaben zünden sie rote Pyrotechnik, dazu bringen sie ein Banner an: »Gemeinsam kämpfen gegen Entlassungen und Klimazerstörung«, steht darauf. Die Aktivisten unten auf der Straße klatschen und stimmen Parolen an. Sie malen mit Kreide auf den Boden, andere hängen schnell Transparente an den Werkszaun. An einer Wand prangt nun »Klassenkampf von unten«, daneben ein Banner mit der Aufschrift »Die Klimabewegung kämpft an eurer Seite«.
Bei dem Spektakel handelt es sich um eine Aktion vom Bündnis »Smash IAA« im Rahmen der vielfältigen Proteste, die an diesen Tagen gegen die in München stattfindende Internationale Automobilausstellung durchgeführt werden. Alle Strömungen der Klimabewegung sind dafür in die bayerische Landeshauptstadt gekommen. Bei den Protesten ist es nun schon das zweite Mal, dass Bosch kritisiert wird. Erst kurz zuvor am Tag hatten Aktivisten in der Innenstadt am Königsplatz einen Ausstellungsstand des Konzerns gestört. Doch warum interessieren sich die Klimaschützer so sehr für Bosch? Für eine Fabrik, bei der etwa 280 Arbeiter Kraftstoffpumpen und Einspritzventile für Diesel- und Benzinmotoren bauen? Einen Zulieferbetrieb, der für Mercedes, Ford, BMW, Audi, VW und andere bekannte Automarken produziert?
Schließen für den Klimaschutz
Der Konzern »prüfe« derzeit die Schließung des Werks in München sowie eine mögliche Produktionsverlagerung nach Brasilien, Nürnberg oder Tschechien, erklärt der Betriebsrat und IG-Metall-Gewerkschafter Ferhat Kirmizi. In der Stuttgarter Firmenzentrale habe man die Belegschaftsvertretung über verschiedene Szenarien informiert. Das Werk sei nicht mehr »wettbewerbsfähig«, hieß es. Eine Bosch-Sprecherin begründete die Überlegungen gegenüber Medien auch damit, dass der Wandel vom Verbrenner zum elektrischen Antrieb zu »erheblichen Überkapazitäten und damit zu einem hohen Anpassungsbedarf« führe. Solche Worte klingen, als sei die Schließung des Boschwerks der Preis der Energie- und Antriebswende in Deutschland.
Die Belegschaft wurde über die Pläne im Sommer nur mit einer »furztrockenen Mail« unterrichtet, beklagt Kirmizi. »Wir sind sehr enttäuscht und sehr wütend – auch bei der letzten Betriebsversammlung war die Werksleiterin nicht da«, sagt der 40-Jährige, der vor seiner Freistellung als Maschinenführer gearbeitet hat. Viele Mitarbeiter würden nun befürchten, dass die Konzernleitung das Werk in Wirklichkeit längst abgeschrieben hat. Von 2005 bis 2017 habe man dabei als Belegschaft über einen Beschäftigungssicherungsvertrag einen Betrag von 40 Millionen Euro zum Erhalt der Arbeitsplätze geleistet, betont der Betriebsrat. Laut Bosch war derweil die Geschäftsentwicklung im vergangenen Jahr trotz der Pandemie besser als erwartet. Man habe insgesamt einen Umsatz von 71,6 Milliarden Euro und ein Ergebnis von 1,9 Milliarden Euro erzielt.
»Wir kämpfen natürlich mit allen Kräften dafür, das Werk zu erhalten«, sagt Kirmizi. Unerwartete Verbündete helfen ihm dabei. Die Nachricht über die drohende Schließung der Bosch-Fabrik gelangte auch zum offenem Klimatreffen München, einer zweiwöchigen Zusammenkunft, wo sich meist junge Aktivisten vernetzen und austauschen. Einige nahmen daraufhin Kontakt zum Betriebsrat auf – und die Zusammenarbeit begann. Mittlerweile gibt es die Gruppe »Klimaschutz und Klassenkampf«, in der sich Beschäftigte und Klimaaktivisten gegen die Werksschließung und für eine ökologische Umstellung der Produktion engagieren.
Gemeinsam verfasste man zügig eine Petition und begann, in und vor der Fabrik Unterschriften für diese zu sammeln. »Das war ein echt cooles Erlebnis und eine freudige Überraschung für die Arbeiter«, erinnert sich die 17-jährige Mia Giese, die Teil der Gruppe ist. Am Anfang hätten sich manche Beschäftigte noch gewundert, ein »Häh« oder »Wollt ihr, dass das Werk noch schneller geschlossen wird?« sei schon mal gefallen. Die Skepsis sei jedoch im Laufe der Zeit bei der großen Mehrheit verflogen. »Viele denken häufig, dass die Klimabewegung will, dass Menschen entlassen werden – aber das ist natürlich komplett falsch«, betont die Schülerin, die auch bei Fridays for Future aktiv war und sich später weiter politisierte.
»Für uns ist klar: Es gibt keine Entlassungen für den Klimaschutz«, sagt Giese. Die Arbeiter- und Klimabewegung könne nur gemeinsam etwas erreichen, die »Ausbeutung von Natur und lohnabhängiger Klasse« nur zusammen stoppen. Rund 160 Mitarbeiter haben bisher die Petition unterschrieben. Die Klimaaktivisten erhielten beim letzten Unterschriftensammeln Hausverbot.
Vom Himmel gefallen
Kirmizi erinnert sich ebenfalls noch gerne an den ersten Kontakt. »Ich war richtig geflashed, als sie angerufen hatten«, erzählt der Betriebsrat. Die Klimaaktivisten seien für ihn regelrecht »vom Himmel gefallen«. Dabei habe die Zusammenarbeit nicht unbedingt auf der Hand gelegen. »Ich habe das bisher noch nie gesehen, dass sich Klimaaktivisten für den Erhalt von Arbeitsplätzen einsetzen«, sagt der Betriebsrat. »Sie fordern und fordern, aber viele machen sich, glaube ich, keine großen Gedanken, was diese Transformation der Automobilbranche bedeutet.« Im Münchener Boschwerk gehöre man vielleicht zu den ersten, die wegfallen, »aber bei allen in der Automobilbranche sind die Arbeitsplätze gefährdet«. Nach Berechnungen der IG Metall könnten bei der Umstellung auf E-Mobilität von acht Arbeitsplätzen sieben wegfallen.
Wenn Klimaaktivisten nicht über Tragweite und Konsequenzen ihrer Forderungen nachdenken, mache das dann so manchen Industriearbeiter wütend, führt Kirmizi aus. Gleichzeitig wüssten aber auch die Arbeiter bei Bosch, dass ihre Produkte endlich seien und Verbrenner irgendwann nicht mehr gebaut werden. Ja, die Welt brauche einen ökologischen Umbruch – aber eben nicht so, dass Arbeitsplätze am Ende wegfallen. »Das hat mich positiv überrascht, dass die Münchener Klimaschützer das auf dem Schirm hatten«, sagt Kirmizi. Ihre Unterstützung gebe »Mut und Kraft«, sie sei »wie Doping«.
Auch die gemeinsame Perspektive einer ökologischen Produktionsumstellung scheint nicht aus der Luft gegriffen. »Wir müssen nicht Zulieferer der Autobranche bleiben. Bosch ist ein riesiger Konzern mit zahlreichen Produkten«, betont der Betriebsrat. Es lohne sich, über den Tellerrand hinauszuschauen, die dazu notwendigen Fähigkeiten seien da. »Wir können auf das Tausendstel genau fräsen, schleifen, bohren und verarbeiten. Was wird gebraucht? Wir haben das Know-how und können an diesem Standort alles herstellen.« Kirmizi hoffe, dass am Ende der Verhandlungen die Manager aus Stuttgart dem Standort die Produktion von »Zukunftsprodukten« ermöglichen.
Auch Giese stimmt zu. »Es gibt Produkte, bei denen es einen enormen Mangel auf der Welt gibt, etwa medizinische Geräte«, sagt die Aktivistin. Sie zeigt sich überzeugt, dass man mit Produktionsumstellungen und gegebenenfalls Arbeitszeitveränderungen Lösungen finden könne, von denen am Ende alle profitieren – Klimaschützer und Beschäftigte. Es brauche daher eine »Konversion von unten«.
Der Betriebsrat arbeitet derzeit mit externen Experten zumindest an einem wirtschaftlichen Alternativkonzept für das Werk. Um die Zukunft zu sichern, haben die Klimaaktivisten und Beschäftigten Anfang September auch eine Demonstration organisiert. Etwa 200 Teilnehmer kamen, darunter eine Handvoll Mitarbeiter und der zuständige IG-Metall-Gewerkschaftssekretär – das war noch nicht so viel wie erhofft, aber für die Urlaubszeit in Ordnung. »Die Stimmung war gut, darauf können wir aufbauen«, sagt Giese. Auf einem Aktiventreffen soll nun gemeinsam diskutiert werden, wie es weitergeht. Und weitergehen, – da sind sich alle einig, muss es. »Ich bin selber Boschkind, meine Mama hat hier 40 Jahre gearbeitet«, sagt Kirmizi. »Ich will auch den nächsten Generationen in München die Fabrik hinterlassen.«
Exemplarischer Konflikt
Die Herausforderungen des Münchener Bosch-Werks stehen dabei exemplarisch für die komplexe Gemengelage in der Branche. Für die Studie »E-Mobilität – ist das die Lösung?« hatten die Journalisten Jörn Boewe und Johannes Schulten sowie der Gewerkschafter Sephan Krull für die Rosa-Luxemburg-Stiftung jüngst mehrere Betriebsräte und gewerkschaftliche Vertrauensleute in der bundesweiten Autoindustrie zum sozial-ökologischen Umbau befragt. Für alle 38 Interviewten war es einerseits selbstverständlich, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Ökobilanz ihrer Betriebe angesichts von Klimawandel, begrenzten Ressourcen und einer immer problematischer werdenden Pkw-Dichte in Ballungsräumen verbessert werden könne. Auch gab es Interesse an Inhalten und Forderungen von Umweltbewegungen wie Fridays for Future. In einigen wenigen Fällen seien diese sogar aktiv unterstützt worden.
Das Bewusstsein für die Klimafrage werde andererseits jedoch immer wieder ins Verhältnis gesetzt zu dem Interesse an einem sicheren Arbeitsplatz, führen die Autoren aus. Und hier gebe es dann schon differenzierte Positionen, aber eben auch Unzufriedenheit mit einigen Haltungen, die in der öffentlichen Debatte existierten. Ein Interviewter kritisierte etwa »einfache Antworten auf sehr komplexe Fragen« und Personen, die »meistens keine Antworten auf die Frage der Arbeitsplatzsicherung haben«. Die aber brauche es, »auch wenn man andere Produkte fertigt«. Die Interviewten forderten dazu Alternativen zum Verbrenner und äußerten auch Unzufriedenheit mit der Glorifizierung von Elektro-Antrieben in der Debatte. Der Großteil der Arbeiter in der Branche sei ansonsten grundsätzlich offen dafür, dass Umweltverschmutzung ein Problem ist, schätzte ein Befragter in der Studie ein. Die Autoren sahen in den Gesprächen generell den Wunsch nach mehr Mitgestaltung durchklingen.
Während also die Beschäftigten demnach offener für den Klimaschutz sind, als mancher vielleicht gemeinhin annimmt, so scheint es auch bei einigen Klimaaktivisten einen Bewusstseinswandel zu geben. »Die Bewegung hat da eine Entwicklung durchgemacht. Das Thema der Arbeitsbedingungen wurde von einigen stark hereingetragen«, sagt Giese. Es sei ein großer Weg, gemeinsam mit den Beschäftigten für den Wandel zu kämpfen, aber wenn man gegen sie kämpfe, hätten die Kapitalisten das erreicht, was sie erreichen wollen – »eine Spaltung«. Und auch, wenn sich bei der Arbeit mit Gewerkschaften wie der IG Metall manchmal die Ansprüche oder die Vorgehensweisen unterscheiden, so sei es doch wichtig, diese Widersprüche auszuhalten und zu diskutieren.
Für Mia Giese ist klar, dass man am Ende auf jeden Fall zusammenstehen muss. »Es wird enorm viele Schließungen geben in der Zukunft«, sagt die 17-Jährige. Bei jeder müssten Aktivisten vor dem Werk stehen und für den Erhalt der Arbeitsplätze kämpfen. »Ich hoffe, dass das überall passieren wird und wir dann ein Vorbild sind.« Auch der Betriebsrat Kirmizi sieht darin eine Aufgabe. »Natürlich können wir alle an einem Strang ziehen. Und wenn das bisher nicht üblich war, dann wird es eben jetzt das erste Mal sein.«
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