Schmelzende Gletscher

Nicht nur der Klimawandel trägt zur Eisschmelze an den Polen bei, in der Westantarktis kommen auch unterirdische Wärmequellen dazu

  • Susanne Aigner
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Arktis erwärmt sich dreimal schneller als andere Regionen. Dänischen Wissenschaftlern zufolge kletterten in diesem Sommer die Temperaturen in Grönland Anfang August auf mehr als 20 Grad, mehr als doppelt so hoch wie im langjährigen Mittel. Angesichts der außergewöhnlich hohen Temperaturen schmolz der grönländische Eisschild auf einer Fläche von fast 1,8 Millionen Quadratkilometern massiv ab. Das Eis begann etwa um 1990 zu schwinden, und das Tempo der Schmelze beschleunigt sich von Jahr zu Jahr. Inzwischen ist der Massenverlust etwa viermal so groß wie vor der Jahrtausendwende.

In 25 Jahren könnte die Arktis im Sommer komplett eisfrei sein, befürchtet der Hamburger Klimaforscher Dirk Notz. Wenige Schollen könnten sich bestenfalls in einigen Buchten im Norden Grönlands und im kanadischen Inselarchipel halten. Die würden es nicht einmal mehr auf eine Fläche von einer Million Quadratkilometern bringen. Das Team um Notz, der am Max-Planck-Institut für Meteorologie forscht und an der Uni Hamburg lehrt, stellte verschiedene Szenarien auf. Die Wissenschaftler untersuchten das ganze Spektrum - von starken Klimaschutzbemühungen bis hin zu einem permanent hohen Ausstoß an Treibhausgasen. So werde es auch im Fall eines ambitionierten Klimaschutzes immer wieder Jahre geben, in denen es im September am Nordpol eisfrei bleibt.

Nicht immer ist an der Eisschmelze nur der Klimawandel schuld, wie eine deutsch-britische Forschergruppe herausfand. So liegen die zwei besonders schnell schmelzenden Gletscher der Antarktis - Thwaites und Pope - auf einer unterirdischen Wärmequelle. Hier sorgt eine heiße Erdkruste dafür, dass die untersten Eisschichten schmelzen und die Gletscher als Eisströme schnell ins Meer abfließen. Eine entsprechende Studie wurde im August im Wissenschaftsjournal »Nature« (DOI: 10.1038/s43247-021-00242-3) veröffentlicht.

Im Gegensatz zum relativ stabilen Eis der riesigen Ostantarktis sind die Eismassen auf der dem Pazifik zugewandten kleineren Westantarktis dauernd im Fluss. So haben der Thwaites-Gletscher und der benachbarte Pope-Gletscher zusammen in den vergangenen 40 Jahren fast 5000 Milliarden Tonnen Eis verloren. Das entspricht mehr als einem Drittel des gesamten Eisverlustes des Südkontinentes in diesem Zeitraum. Allein dieses Schmelzwasser trug mit etwa fünf Prozent zum weltweiten Meeresspiegelanstieg bei.

Ost- und Westantarktis unterscheiden sich stark voneinander: Während der östliche Teil als relativ alt und stabil gilt, ist die Westantarktis ein geologisch junges, tektonisch aktives Gebiet, in dem sich viele Erdbeben ereignen. So verbergen sich nahe der Amundsensee aktive Vulkane unter den Eismassen. Dort sitzt das kilometerdicke Eis auf einer Riftzone, in der die verhältnismäßig dünne Erdkruste allmählich auseinanderbricht, wobei sich die Flanken der Grabenzone langsam voneinander weg bewegen. Durch diese dünne und brüchige Erdkruste gelangt sehr viel mehr Wärme aus dem Erdinneren an die Oberfläche als in stabilen Gegenden. Wie die Wissenschaftler um Ricarda Dziadek vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven ermittelten, erreicht der geothermische Wärmefluss in diesem Gebiet im Schnitt fast 90 Milliwatt pro Quadratmeter. Das entspricht in etwa den Werten in anderen Riftzonen der Erde. Doch speziell unter den Thwaites- und Pope-Gletschern wurde ein Wärmefluss von 150 Milliwatt je Quadratmeter gemessen. Auf dem entstehenden Schmelzwasser kann das darüberliegende Eis besonders schnell in Richtung Küste abfließen. Wegen der Erwärmung ist auch die Bremswirkung der normalerweise vorgelagerten schwimmenden Gletscherzungen deutlich verringert. Alle Faktoren zusammen führen zu einem enorm beschleunigten Fluss des Thwaites- und Pop-Gletschers ins Meer.

Gletscher in Grönland und in der Antarktis schmelzen schneller als vor 15 Jahren. Leider fällt es der Politik, die stets nach kurzfristigen Lösungen sucht, sehr schwer, langfristige Ziele zu verwirklichen, bedauert der Physiker Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Als einer der ersten stellte er das Modell der Kippelemente auf, demzufolge sich der Wechsel ab einer bestimmten Temperatur abrupt und unumkehrbar vollzieht. Nach Ansicht des Wissenschaftlers bleiben nur noch wenige Jahre Zeit, den Klimawandel technisch und physikalisch zu begrenzen.

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