Vorbeugen ist besser als heilen

Die neuen Konzepte der Vektor-, mRNA- und DNA-Impfstoffe zur Immunisierung gegen Virusinfektionen bewähren sich. Wie sie funktionieren

  • Martin Holtzhauer
  • Lesedauer: 6 Min.

Ach, was muss man oft von bösen Spritzen hören oder lesen, wie zum Beispiel hier von diesen, welche Astra und Sputnik hießen.« Vielleicht hätte Wilhelm Busch so gedichtet, lebte er in unseren Pandemie-Zeiten. Aber sind diese Impfstoffe wirklich so gefährlich und unausgereift, wie gelegentlich zu hören ist, oder hätte der Humorist womöglich viel lieber die Impfgegner aufs Korn genommen?

Nichts was wir tun, ist gänzlich ohne Risiko. Um den erwarteten Nutzen ins Verhältnis zu einem möglichen Schaden zu setzen, ist es hilfreich, wenn man versteht, wie etwas zustande gekommen ist, wie es wirkt.

Impfungen werden seit über 200 Jahren zur Bekämpfung von Krankheiten eingesetzt. In dieser Zeit hat sich ein immenses Wissen über Aufbau und Wirkungsweisen von Impfstoffen angesammelt, das genutzt werden kann, um in immer kürzerer Zeit verbesserte oder bisher nicht bekannte Impfstoffe zu entwickeln. Dank dieses Wissensschatzes haben sich die Entwicklungszeiten in den vorklinischen Phasen (bevor erste Versuchspersonen geimpft werden) drastisch verkürzt.

Angefangen hat es damit, dass Viren einer anderen Säugetierart zum Schutz von Menschen eingesetzt wurden (Kuhpocken-Viren gegen menschliche Pockenviren). Und vor dem Einsatz von Impfstoffen wurden umfangreiche Versuchsreihen angestellt, um zu sehen, welche Wirkungen, positive wie negative, dabei auftreten. Um eine aktive Schutzwirkung zu erzielen, werden »lebende«, aber nicht vermehrungsfähige Viren ebenso eingesetzt wie abgetötete Viren oder isolierte Virusbestandteile.

Alle Impfstoffe zu behandeln würde hier den Rahmen sprengen. Beschränken wir uns auf Impfstoffe, die zur Bekämpfung der augenblicklichen Covid-19-Pandemie entwickelt und seit Ende 2020 in hunderten Millionen Fällen eingesetzt wurden und werden.

In Bezug auf Herstellung und Wirkweise sind zur Zeit unterschiedliche Impfstoffe (Vakzine) im Einsatz, die überwiegend in drei Gruppen eingeteilt werden:

Vektor-Impfstoffe wie Gam-COVID-Vac (»Sputnik V«), AZD1222 (Astra-Zeneca) und Ad26.COV2.S (Johnson & Johnson), bei denen in die DNA gentechnisch manipulierter Viren, die nicht humanpathogen sind, der »Bauplan« für SARS-CoV-2-Proteine eingebaut wird.

mRNA-Impfstoffe (Boten-RNA = mRNA), deren Prinzip bisher erfolgreich in der Veterinärmedizin und jetzt erstmalig gegen das humanpathogene Virus SARS-CoV-2 verwendet wird - Tozinameran BNT162b2 (Biontech/Pfizer) und mRNA-1273 (Moderna/NIAID).

DNA-Impfstoffe - zum Beispiel der indische ZyCoV-D - befinden sich noch in der (vielversprechenden) klinischen Erprobungsphase gegen die SARS-CoV-2-Delta-Variante.

Allen diesen Impfstoffen ist gemein, dass letztlich das menschliche Immunsystem mit den viralen Proteinen zu einer antikörper-basierten (»humoralen«) und zellulären Immunantwort angeregt wird, die bei späterem Kontakt das Eindringen und die Vermehrung des Virus unterbindet.

Betrachten wir die beiden Impfstofftypen »Vektorimpfstoff« und »mRNA-Impfstoff« genauer. Beiden ist gemein, dass erst in menschlichen Zellen charakteristische Virusproteine durch den zelleigenen Proteinsyntheseapparat gebildet, aus den Zellen ausgeschleust und dem Immunsystem präsentiert werden. Dazu muss die Virus-Information in Zellen eingeschleust werden. Die »nackte« RNA des Virenerbguts allerdings wird im Organismus sofort zerstört.

Bei Vektor-Impfstoffen nutzt man die Virus-Eigenschaft aus, an (Wirts-)Zellen anzudocken, in Zellen einzudringen und erst dort über den Umweg der »Abschrift« der viralen DNA in mRNA mit den Mitteln der Wirtszelle die RNA mit dem gewünschten Bauplan freizusetzen. Die Transport-Viren - Vektoren genannt - werden so ausgewählt, dass sie bei Menschen keine Krankheiten verursachen und ihr Erbgut nicht permanent ins menschliche Erbgut (Genom) einbauen. Sowohl bei Astra-Zeneka als auch Sputnik sind es verschiedene Typen von humanen und affen-spezifischen, sich im Menschen nicht vermehrende Adenoviren.

Ein Problem der Vektor-Impfstoffe ist, dass das Immunsystem auch auf die Vektoren reagiert. »Sputnik V« umgeht dies, indem für Erst- und Zweitimmunisierung unterschiedliche Virusvarianten verwendet werden. Bei Impfstoffen vom Astra-Zeneca-Typ ist es daher ratsam, eine Zweitimmunisierung mit einem anderen Impfstofftyp, zum Beispiel einem mRNA-Impfstoff, vorzunehmen.

mRNA-Impfstoffe sind gänzlich anders aufgebaut. Sie enthalten nur die Boten-RNA für das entsprechende (Coronavirus-)Protein. Um die mRNA vor einer Zerstörung zu schützen und ihren Durchtritt in die Zielzellen zu ermöglichen, ist sie in Lipid-Nanopartikel verpackt. Das sind winzige Fettkügelchen - bei Normaltemperatur nicht längere Zeit haltbar und auch bei der Impfung selbst mit Sorgfalt zu behandeln -, die im Innern eine wässrige Flüssigkeit mit der mRNA enthalten. Kommt ein solches Nanopartikel mit einer Zellmembran in Berührung, verschmilzt es mit ihr, und die mRNA kann ins Zellinnere gelangen. Um dort vom Proteinsyntheseapparat erkannt und als Blaupause für ein Protein zu dienen, ohne vorher abgebaut zu werden, gibt es in der mRNA verschiedene Sequenzabschnitte: Da ist einmal ein Stückchen, das eine Aktivierung des angeborenen Immunsystems verhindert, gefolgt von einem Abschnitt, der die Bindung an die »Synthesemaschine« (Ribosom) ermöglicht. Dann folgt der Bereich, der in Protein umgesetzt wird und ein Signal für das Ausschleusen des neu synthetisierten Proteins aus der Zelle darstellt (Signalpeptid). Und natürlich der Code für das gewünschte Virusprotein. Dem schließt sich ein Bereich an, der nicht in Protein umgesetzt wird, sondern für die Ablösung des neuen Proteins vom Ribosom verantwortlich ist. Den Schluss bildet ein Stück RNA, das eine Mehrfachverwendung der mRNA in der Zelle und deren schließlichen Abbau codiert. Die eingeschleuste mRNA verschwindet also nach einiger Zeit spurlos.

Ein Wort noch zu der Befürchtung, die virale mRNA könne ins menschliche Erbgut eingebaut werden und dort unabsehbare Spätfolgen entwickeln. Diese Vermutung ist wenig realistisch, denn ein Einbau müsste in Stamm- oder Keimzellen erfolgen und es bedarf dazu eines Enzyms namens reverse Transkriptase - das in Wirbeltieren wie dem Menschen nicht vorhanden ist. Auch die Vektor-Viren verfügen nicht darüber.

DNA-Impfstoffe enthalten den »Bauplan« für Virusproteine in Form einer ringförmigen DNA-Doppelhelix (Plasmid). Diese DNA enthält alle Information dafür, dass in Zellen des geimpften Menschen die Virus-Proteine produziert und dem Immunsystem präsentiert werden. Die Vorteile gegenüber Vektor-Impfstoffen bestehen darin, dass kein Hilfsvirus, gegen das Antikörper gebildet werden, verwendet wird. Und gegenüber RNA-Impfstoffen gibt es den Vorteil, dass DNA viel transport- und lagerstabiler ist als RNA.

Sowohl in den Vektor- als auch den Nucleinsäure-Impfstoffen (RNA bzw. DNA) unterscheiden sich die eben genannten Bereiche der eingeschleusten Erbinformation je nach Entwickler. Die unterschiedliche Zusammensetzung der mRNA ist ein Grund für die Unterschiede der Impfstoffe in Bezug auf Dosierung, Impfabstand zwischen Erst- und Zweitimpfung und die Wirksamkeit gegenüber dem Immunsystem (Schutzwirkung).

Wie lange die Immunisierung anhält, ist knapp ein Jahr nach Start der Impfungen gegen SARS-CoV-2 noch nicht abschließend zu sagen. Weitere Studien müssen noch belegen, wie lange Antikörper in den Geimpften vorhanden sind. Dazu kommt noch die fiese Eigenschaft der Viren, sich zu verändern. Zwar wurden für die Impfstoffe Bereiche ausgewählt, die nach jetzigen Erkenntnissen keinen oder geringen Veränderungen unterliegen, aber bis die Omega-Variante des Coronavirus auftaucht, sind noch Überraschungen möglich. Der große Vorteil der gentechnisch bearbeiteten Impfstoffe ist jedoch, dass ohne grundsätzliche Änderungen des Wirkstoffs (Transportform wie Vektor oder Liponanopartikel) eine schnelle Anpassung möglich erscheint.

Dennoch ist - wie bei anderen Medikamenten auch - nicht auszuschließen, dass einzelne Menschen anders reagieren als die übergroße Mehrheit. Doch eins ist jetzt schon sicher: Die eingesetzten Impfstoffe erzielen einen sehr guten Schutz vor ernsthaften Erkrankungen mit Covid-19, auch gegen die bisher bekannten Mutationen des Erregers, und sie behindern eine Weiterverbreitung des Virus, was erneute Mutationen unterdrückt. Also: Wer noch nicht geimpft ist, sollte es schleunigst nachholen - zum eigenen und zum Schutz seiner Mitmenschen.

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