Werbung

Kommunismus? Schön wär’s!

Die Stimme der Vernunft: Konservative empfinden die Möglichkeit ihrer Abwahl fast schon als Staatsstreich

Auf den letzten Metern des Wahlkampfes haben sie ihn noch entdeckt: den Antikommunismus. Als letzter Kitt zwischen Corona-Leugnern, Vermieterlobby und katholischen Fundamentalisten muss zur Stabilisierung der auseinanderfallenden konservativen Basis die Warnung vor dem »Linksrutsch« herhalten: rote Socken, the red scare, die ganze verbrauchte Bildwelt des Kalten Kriegs. Markus Söder, der Mann, der in Bayern mit einem ungeimpften Corona-Leugner regiert, warnte vor einer Woche vor einem Bündnis aus SPD, Grünen und Linken: Die Linkspartei sei nach wie vor die offizielle Nachfolgepartei der SED; bis heute schafften es die Politiker der Partei nicht, mit dem Unrechtsregime der DDR zu brechen. Es gehe nicht nur um Geschichte, sondern auch um Gegenwart und Zukunft. »Die Linksformel heißt: höhere Steuern, höhere Schulden, mehr Bürokratie, weniger Sicherheit.«

Da muss ich aber lachen: Weder Grüne noch SPD schließen ein Bündnis mit der Union aus – bis zur Stunde weiß ich immer noch nicht, ob eine Stimme für SPD oder Grüne nicht die für einen Kanzler Laschet ist, mit seinen katholischen Fundamentalisten und RWE-Gangstern im Schlepp. Ein paar Gedankenspiele von SPD-Hinterbänklern zu Rot-Grün-Rot sorgen bei Konservativen für solche Panik, dass sie den Kommunismus vor den Toren stehen sehen. Ja, schön wär’s!

Leo Fischer war Chefredakteur des 
Nachrichtenmagazins »Titanic«. 
Hier unterbreitet er der aufgeregten 
Öffentlichkeit nützliche Vorschläge.
Leo Fischer war Chefredakteur des 
Nachrichtenmagazins »Titanic«. 
Hier unterbreitet er der aufgeregten 
Öffentlichkeit nützliche Vorschläge.

Völlig unbeschadet der Tatsache, dass die SPD in weiten Teilen nur deswegen existiert, weil sie die Linkspartei ablehnt, der Ausschluss der Linkspartei auch konstituierend für die Ideologie der Bundes-Grünen ist: Was wäre denn Rot-Grün-Rot? Man bekäme die ideologische Formation, die 1998 schon einmal gewählt wurde und deren Konsequenzen recht unkommunistische waren: flächendeckende Niedriglöhne, endlose Hartz-IV-Schikane, Auslandseinsätze, die Abschaffung der Vermögenssteuer, freie Fahrt für VW. Sogar der Kanzler wäre ein Schröderianer der ersten Stunde, der sich in Hamburg vor Polizeigewalt und Folterknast stellte. Sekundiert würde er von einer grünen Partei, die jedenfalls in den Ländern beweist, dass sie in nahezu jeder Konstellation widerstandslos in den Hintergrund zu treten bereit ist. Die Linkspartei, sofern sie nicht ohnehin mit unbedeutenden Ministerien abgespeist würde, könnte in dieser Zusammensetzung vielleicht darauf hoffen, ein bisschen Mietendeckel durchzusetzen, wenn überhaupt. Wenn schon der »linke« Kevin Kühnert signalisiert, nicht einmal dem züchtigen Berliner Volksentscheid zur Rekommunalisierung des Wohnraums zustimmen zu wollen, ist der Spielraum leider knapp.

So wäre auch die linkestmögliche Regierung immer noch eine, die sich nur in Nuancen von der amtierenden unterschiede – die sorgt sich wahrscheinlich vor allem darum, dass ihr Markenkern verwässert würde. Allen Ernstes warnt Jan Zimmer, Generalsekretär der CDU Rheinland-Pfalz, nun auch vor den Liberalen als roten Socken: »Wer FDP wählt, wählt den Linksrutsch«, lässt er sich im vollen Ernst zitieren. Und auf gewisse Weise stimmt es ja auch: Immerhin hat die FDP noch keinen rechtsradikalen Geheimagenten als Direktkandidaten aufgestellt, und so unsympathisch ihr Personal auch sein mag: den fleischgewordenen Enkeltrick Philipp Amthor, der erst Steuergeld in eine Briefkastenfirma zu leiten versuchte, um ein Jahr später dann mit Dackelblick Haustürwahlkampf zu machen, den hat sie auch nicht aufzubieten.

Amüsant aber die bei den Konservativen weltweit zu beobachtende Tendenz, allein schon die Möglichkeit einer demokratischen Abwahl als halben Staatsstreich zu verkaufen. Die CDU hat Verfassungsrang!

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.