Die Schrift bleibt

Ist doch nur Politik – zur Ästhetik des Wahlkampfs (6): Linke im purpurroten Mäntelein

Wenn es bei der Linkspartei eine Konstante gibt, dann ist es neben Gregor Gysis Kandidatur um das Direktmandat in Treptow-Köpenick die Schrifttype Corporate S für den Parteinamen. Slogans und Gesichter wechseln, was seit 2009 geblieben ist, ist Corporate S: Eine schmal gestellte Schrift, mit der auch der Platz auf winzigen Wahlplakaten maximal ausgereizt werden kann. Eine Schrift, die ausgerechnet nach rechts neigt, aber ja, das rote Pfeilchen weist nach links.

Und viel wichtiger sind eh’ die Slogans: Für Frieden und gegen Krieg, gegen Sozialabbau und für sichere Renten, das ist links und das ist konstanter noch als Corporate S. Und egal, ob es nun heißt »Respekt. Renten mit Niveau« (2017) oder »Jetzt. Gerecht: Rente hoch, Rentenalter runter« (2021), die Schriftart hat den besten Wiedererkennungswert aller Parteien und der Adressat weiß sofort verlässlich, hier schreitet die Linke voran in eine bessere Zukunft.

Bei der Bundestagswahl 2021 kommen nun neben der bekannten hardcore-strengen rot-weiß-Dichotomie noch ein frisches Lila und Türkis dazu. Wow, das ist ein Bruch, wie ihn Goethes Farbenlehre von den Kontrasten geradezu aufdrängt, der aber Traditionalisten einiges abverlangt. Wahlkampfmanager Jörg Schindler sagt, dass sei der verjüngten Mitgliederstruktur geschuldet, die vornehmlich aus den sozialen Bewegungen komme.

In Wahrheit ist es doch aber die farbgewordene Abkehr vom Hauptwiderspruch! Arbeit (rot) gegen Kapital (weiß), das war einmal. Jetzt geht es eben auch darum, die Herzen der Gendersternchenbefürworter*innen zu erobern – und die sind eher lila (die »höchste« Farbe, wenn man Goethe glaubt), statt markigen Protestparolen in Versalien und weiß auf rotem Hintergrund (dazu hatte Goethe nichts zu sagen). »Hartz IV muss weg« ist vom Wokenessfaktor halt eher so mittel.

Es ist wohl nicht von der Hand zu weisen, dass man mit dem alten Stigma der Protestpartei ein Problem hat, denn das ist ja längst eine andere. Und solange also noch eine (winzig) kleine Restchance auf einen Platz am Katzentisch der Regierungskoalition besteht (und die Stimmen können ja nur noch von jenseits der treuen Stammwähler kommen), muss sich das auch in der Bildsprache widerspiegeln, denkt sich die Agentur DIG Plus, also denkt sich das auch die Linke.

Dabei ist es ja fast ein genialer Schachzug, dass ausgerechnet die SPD im aktuellen Bundestagswahlkampf in linker Mimikry auftritt (rot, weiß, schwarz) und die Linke sich das purpurrote Mäntelein der SPD von 2011 umlegt. Warum also nicht einfach die Identitäten tauschen? Die Linke hat man nicht gewählt, weil sie eben die Linke ist und die SPD nicht, weil sie kein Profil hatte. Darauf muss man erst mal kommen. Dabei hat sich allerdings die Linke bei dem Deal eindeutig über den Tisch ziehen lassen. Mehr als sechs oder sieben Prozent sind wohl nicht drin – wenn überhaupt.

Am Ende wird man sich an die verschiedenen Farbexperimente der Linken nicht mehr erinnern, was geblieben ist, ist Corporate S.

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