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Tage der Hoffnung
Generalstreik und Hafenblockade: Ein Aktivist erinnert sich an die Occupy-Proteste vor zehn Jahren im US-amerikanischen Oakland
Es ist wenig los auf der Frank H. Ogawa Plaza, der weitläufigen Rasenfläche vor dem Rathaus von Oakland. Ein paar junge Büroangestellte sitzen auf den Stufen und essen ihr Mittagessen, wenige Meter weiter schlafen einige Wohnungslose. Am Rande des Platzes sitzt ein Mann vor einem Zelt. Er wohnt offenbar dort. Und das, wie es scheint, schon eine ganze Weile.
Vor zehn Jahren stand hier mehr als nur ein Zelt. Weit über 100 sollen es gewesen sein, ein riesiges Protestcamp. Die Occupy-Bewegung, die ein paar Wochen zuvor in New York entstanden war, schwappte Anfang Oktober auch ins kalifornische Oakland ganz am anderen Ende der Vereinigten Staaten über. Tausende, auf dem Höhepunkt sogar Zehntausende, nahmen den Protesten teil, gingen gemeinsam auf die Straße, diskutierten und träumten zusammen.
Einer von ihnen war Jesse D. Palmer, ein Aktivist aus dem benachbarten Berkeley, der sich noch genau erinnert, wie er damals zum ersten Mal auf den besetzten Platz kam. »Alles war voller Menschen, und die meisten davon kannte ich nicht. Es waren nicht nur die üblichen Verdächtigen da, sondern alle möglichen total verschiedenen Leute«, erzählt er. »Ich habe sofort gespürt, dass diese Sache groß werden wird.«
»Die ersten zwei Wochen in dem Camp waren wie ein kleines Utopia«, so Palmer. Es gab Essen für alle, Workshops und eine Kinderbetreuung, und jeden Abend wurde auf einer großen Versammlung diskutiert, wie es am nächsten Tag weitergehen soll, welche Aufgaben zu erledigen waren und welche Proteste anstanden. Palmers Augen leuchten, wenn er davon erzählt. Es waren Tage der Hoffnung und des Gefühls, gemeinsam vielleicht doch etwas verändern zu können.
Doch dann kam die Polizei. Es war gegen fünf Uhr morgens am 25. Oktober 2011, als plötzlich rund 600 Polizisten, zusammengezogen aus der gesamten Bay Area, den Platz stürmten, die Protestierenden vertrieben und alles dem Erdboden gleichmachten. Etwa 200 Menschen leisteten Widerstand. Flaschen und Steine flogen, aber am Ende war gegen die Übermacht in Uniform nichts auszurichten. In den Stunden darauf blieb es ruhig. Dann ging die Sache erst richtig los.
Am frühen Abend versammelten sich mehr als 1000 Demonstranten und machten sich auf den Weg Richtung Rathaus, um den Platz erneut zu besetzen. Vor dem Polizeihauptquartier eskalierte die Situation das erste Mal. Polizisten wurden mit Farbbeuteln beworfen und antworteten mit Tränengas. Die Demonstranten zogen weiter. Gegen 21.30 Uhr erreichten sie auf Umwegen den Platz. Doch der war mit Absperrgittern verbarrikadiert und von Polizisten umstellt.
Erneut eskalierte die Lage. Gegenstände flogen. Die Polizei feuerte Rauch- und Tränengaskartuschen in die Menge. Eine davon erwischte den Irak-Kriegs-Veteranen und Friedensaktivisten Scott Olsen am Kopf.
Palmer erinnert sich genau an diesen Moment. Er war direkt dabei. »Wir ließen uns wegen des Tränengases etwa einen Block zurückfallen, und als wir wieder nach vorne kamen, lag da diese Person am Boden«, erzählt er. Jemand bat ihn um Hilfe, und er half, den bewusstlosen Olsen aus der Schusslinie zu tragen. »Ich sagte ihm immer wieder, wir bringen ihn ins Krankenhaus und das wird schon wieder, aber er starrte mich nur mit leeren Augen an. Überall war Blut. Ich war mir sicher, er würde sterben.« Aber Olsen überlebte. Er hatte eine Schädelfraktur und eine Hirnschwellung, aber er kam durch. Die Nachricht über das, was geschehen war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Da hatte jemand zwei Einsätze im Irak, in einem Kriegsgebiet, überlebt, und jetzt wäre er hier um ein Haar von wild gewordenen Bereitschaftspolizisten ermordet worden.
Die Menschen waren fassungslos und wütend. Am Abend des nächsten Tages versammelten sich 1500, manche sagen auch 3000, Menschen auf dem Platz zu einem außerordentlichen Plenum. Die Polizei ließ sie gewähren. Noch mehr schlechte Presse konnte sie nicht gebrauchen. Im Park wurde erneut ein Protestcamp errichtet und für den 2. November, genau eine Woche später, ein Generalstreik ausgerufen, der erste seit Jahrzehnten.
»Es war die größte Konsensentscheidung, die ich je erlebt habe«, erinnert sich Palmer, aber es bedeutete auch jede Menge Arbeit. Er und andere druckten Plakate und hängten sie auf, gingen von Tür zu Tür und redeten mit den Menschen. Fast überall ernteten sie Zustimmung. Es war, als wäre die ganze Stadt von einer Welle überbordender Energie erfasst. Veränderung lag in der Luft und die Hoffnung, dass sich diesmal vielleicht wirklich etwas bewegen ließe.
Einst wurde Occupy als außerparlamentarische Bewegung gegründet. 2015 starteten Ex-Protagonisten die Kampagne für die Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders
Am Tag des Generalstreiks marschierten bis zu 30 000 Menschen durch die Straßen Oaklands und blockierten schließlich die Einfahrt zum Hafen. Der drittwichtigste Hafen an der US-amerikanischen Westküste musste den Betrieb einstellen. Ein unglaublicher Erfolg und für Palmer einer der schönsten Tage seines Lebens. Ein Erlebnis, von dem er noch Jahre später zehrte. Aber auch der Anfang vom Ende, wie er selbstkritisch eingesteht: »Wir haben es in der Folge nicht geschafft, unsere berechtigten Forderungen in tatsächliche Politik umzusetzen. Das hat viele enttäuscht zurückgelassen. Bald waren es wieder nur die üblichen Verdächtigen, die zu Protesten und Versammlungen kamen.«
Palmer, inzwischen 53, würde so etwas wie Occupy Oakland gerne noch einmal erleben, aber so etwas kann man nicht planen, sagt er. Es brauche einen Funken. So wie im letzten Jahr bei Black Lives matter der Mord an George Floyd. »Ich glaube immer noch, dass es richtig ist, Protest auf der Basis von Klasse zu organisieren«, sagt er. Denn es habe sich ja nichts geändert. Auf dem Frank H. Ogawa Plaza, aber auch auf den anderen Plätzen rund um das Bankenviertel von Oakland campieren noch immer Wohnungslose. Das reichste eine Prozent der US-Amerikaner besitzt noch immer sechsmal so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen. Wird es wieder Zeit, auf die Straße zu gehen? Für Palmer ist die Sache klar: »Wir haben doch gar keine andere Wahl!«
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