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Kampfplatz Körper

Ultrakonservative Kräfte verwerfen den Status quo - aber auf antirevolutionäre Weise

  • Lidia Polito
  • Lesedauer: 4 Min.

Derzeit manifestieren sich ultrakonservative Ideen wieder global in Gesellschaften und und stellen die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte infrage. Häufig zeigt sich dieses Phänomen besonders deutlich an Gender- und Körperangelegenheiten, und meist sind es vor allem die Körper von Frauen und trans Personen, die unter Beschuss geraten.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Abtreibungsgesetz, das Anfang September im US-Bundesstaat Texas verabschiedet wurde: Eine legale Abtreibung soll dort nur noch bis zur sechsten Schwangerschaftswoche möglich sein. Dieser Beschluss kommt im Grunde einem völligen Verbot gleich, bedenkt man, dass die allermeisten Frauen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. Beängstigend an dem neuen Gesetz ist außerdem, dass die Strafverfolgung bei Verstoß nicht durch Behörden initiiert werden soll, sondern durch engagierte Bürgerinnen und Bürger - mit der Aussicht auf eine Belohnung von bis zu 10 000 Euro. Derzeit schützt eine einstweilige Verfügung Abtreibungskliniken in Texas in Bezug auf das Gesetz.

Doch wie kommt es, dass die Geschlechterpolitik ultrakonservativer Bewegungen so erfolgreich ist? Und warum können diese sich immer wieder auf Fragen der körperlichen Selbstbestimmung einigen? Diesen Fragen versuchte am Wochenende der Frankfurter Kunstverein auf der Tagung »My body is a battleground« (Mein Körper ist ein Kampfplatz) nachzugehen. Deren Beantwortung ist von Widersprüchen gekennzeichnet. Denn obwohl sich viele Gleichheitsideen durchgesetzt haben, bestehen die Geschlechterverhältnisse fort - und ultrakonservative Ideen erfahren Auftrieb.

Die Sozialwissenschaftlerin Sarah Speck erklärt sich den Fortbestand der Geschlechterverhältnisse sogar mit der Durchsetzung von Gleichheitsideen, weil sich damit eine ganz bestimmte Idee von Freiheit durchgesetzt habe und zwar die liberale. Deutlich wird das etwa am Beispiel der Erwerbstätigkeit: »Gleichheit heißt vor allem, dass sowohl Mann als auch Frau arbeiten sollen, Haushaltsaufteilung kommt nicht mehr zur Sprache«, so Speck. Der Diskurs über bezahlte Haus- und Sorgearbeit sei damit in den Hintergrund gerückt.

Es haben sich also die Ideen eines bestimmten liberalen Feminismus realisiert, während Ideen, die stärker auf Anerkennung von Sorgearbeit und gesellschaftlich notwendiger Reproduktionsarbeit zielen, auf der Strecke blieben. Durchgesetzt hat sich damit auch die Idee von Arbeit als »Verwirklichung des Selbst«, die für den Einzelnen oft überfordernd ist, zumal der Arbeitsmarkt von Unsicherheiten, gedrückten Lohnniveaus und hohem Druck geprägt ist.

Diese Ängste werden nun von Ultrakonservativen adressiert, so Specks These. Und hier liegt ein Grund für den Erfolg rechter Geschlechterpolitiken: Sie bieten ein Angebot der Sicherheit in krisenhaften Zeiten, das sich in konkreten Vorstellungen von traditioneller Arbeitsteilung und Familie ausdrückt.

Die Philosophin Nancy Fraser knüpft an diesem Punkt an. Sie ist der Ansicht, dass ultrakonservative Bewegungen gerade dadurch erstarken, dass einige progressive Bewegungen Allianzen mit neoliberalen Ideen geschlossen haben. Der Neoliberalismus und der Status quo hat sich durch die Krisen der letzten Jahre für viele als Enttäuschung herausgestellt - und damit auch seine Verbündeten, zu denen oft liberale, progressive Bewegungen zählen, die sich nur auf bestimmte Interessen fokussiert haben.

Abtreibungsgegner in der Defensive. Feministische Aktion protestierte gegen »Marsch für das Leben«. Forderung nach freiem Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen

Ultrakonservative, die den Status quo als Ganzes verwerfen, inszenieren sich vor diesem Hintergrund als Revolutionäre, die eine tatsächliche Änderung der Verhältnisse bewirken, auch wenn dies de facto einen Rückschritt zu traditionellen Vorstellungen bedeutet. Der Körper wird hier zum optimalen Austragungsort der Kämpfe zur Herstellung einer vermeintlich »natürlichen« Ordnung und somit einer Ordnung, die Sicherheit und Orientierung bietet. Doch er bleibt nur ein einzelner Strang ultrakonservativer Strategien. Wer sich diesen tatsächlich entgegenstellen will, darf nach Nancy Fraser nicht bei feministischen Forderungen bleiben, sondern muss diese in einen antikapitalistischen Kontext einbetten. Nur so kann der Ultrakonservatismus als das entlarvt werden, was er originär ist: eine antirevolutionäre Bewegung.

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