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  • »Helden der Wahrscheinlichkeit«

Wenn Männer Selbstjustiz üben

In der dänischen Komödie »Helden der Wahrscheinlichkeit« übt Mads Mikkelsen brutale Rache an irgendwelchen Unholden

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Der neue Film des dänischen Regisseurs Anders Thomas Jensen (»Men & Chicken«) nimmt sich in erster Linie Vorstellungen von Männlichkeit vor, lässt seine komischen Klischeemänner in einen wilden Rachethriller-Plot geraten und will sie als typische Filmklischees dekonstruieren.

Aber von vorn. Weil ein Mädchen in Tallinn sich ein blaues Fahrrad zu Weihnachten wünscht, »bestellt« der estnische Fahrradhändler ein solches, weshalb wiederum in Dänemark das Fahrrad der Teenagerin Mathilde gestohlen wird. Daher müssen Mathilde und ihre Mutter die S-Bahn nehmen. Diese Bahn verunglückt, Mathilde überlebt den Unfall, die Mutter stirbt dabei. Nun muss Vater Markus (Mads Mikkelsen) aus seinem Afghanistan-Militäreinsatz zurückkehren, den Verlust seiner Frau verarbeiten und sich um die pubertierende Tochter kümmern. Und bald auch noch um zwei Nerds. Einer von ihnen, Otto (Nikolaj Lie Kaas), befand sich ebenfalls in der verunglückten Bahn und hatte der Mutter seinen Sitzplatz angeboten, weshalb er gewissermaßen auf ihre Kosten überlebt hat.

Die beiden Männer versichern Markus, der S-Bahn-Unfall sei kein Unfall gewesen, sondern ein Terroranschlag, sie könnten das mit einem von ihnen entwickelten Wahrscheinlichkeitsalgorithmus und anhand mehrerer eindeutiger Indizien beweisen. Die Ein-Mann-Tötungsmaschine Markus lässt sich überzeugen, auch weil seine gewaltförmig-patriarchale Weltvorstellung an den Erfordernissen von Trauerarbeit, Kindererziehung und der Zivilisation insgesamt zu scheitern droht (genau genommen ist er ein gewalttätiges, prügelndes Arschloch). Und wo es einen Schuldigen für den Tod seiner Frau gibt, da gibt es auch einen, den er guten Gewissens umbringen kann.

Der Film karikiert in der Markus-Figur ganz explizit diesen in unzähligen Action-Filmen vorgeführten Charakter, der die Unzulänglichkeiten demokratischer Rechtsstaaten hinsichtlich archaischer Gerechtigkeitsvorstellungen selbst in die Hand nimmt und brutale Rache an irgendwelchen Unholden übt.

Diese satirische Überspitzung gelingt, insbesondere da Mikkelsen den Rache-Rowdy sehr präzise als skrupellosen Killer spielt, der aus seiner eigenen Gefühlswelt, in der er mit Trauer und Verantwortung überfordert ist, unbedingt wieder in den Kriegsmodus ausbrechen will und muss. Die rührselige Rechtfertigungsgeschichte, in der er ansonsten agiert, soll die Sympathien des Zuschauers an ihn ketten, was in »Helden der Wahrscheinlichkeit« aber unentwegt hintertrieben wird. Denn Markus ist schlicht nicht sehr sympathisch – gleichzeitig setzt die später auf drei Männer anwachsende Nerd-Truppe ein co-protagonistisches Gegengewicht, insbesondere Otto ist in seiner wohlwollenden Art und seiner schwächlichen Körperlichkeit ein viel besser geeigneter Sympathieträger, bekommt von Markus aber bald auf die Nase.

So weit ist das stimmig, und das Spiel mit den Zuschauererwartungen gelingt durchaus; aus der Figurenkonstellationen und den aufeinanderprallenden Exaltiertheiten entspringt auch mancher Lacher. Allerdings übertreibt es Jensen arg mit seinen Überspitzungen und Albernheiten, und der Film gefällt sich einigermaßen penetrant darin, den grotesken Gegensatz Action-Hero-Männlichkeitswahn versus »nichtmännliche« Männer vermeintlich ironisch abzufeiern. So muss dann der dicke Mann »Emmenthaler« heißen und unentwegt misogyn vor sich hinfluchen, ein anderer Nerd schließlich dem Brutalo seinen nackten Hintern darbieten, und die bösen Riders of Justice, die von Markus zusammengeschlagen und ermordet werden sollen, haben es als mafiöse Rocker halt am Ende doch auch irgendwie verdient.

So verarbeitet man als aufgeklärter Liberaler heute das eigene Leiden: Indem man die Psychotherapie, die man selbst längst gebucht hat, um das Leben als kapitalistische Monade irgendwie zu ertragen, im Kino verlacht, wo die pummelige Teenagertochter, angeleitet von einem blöden Nerd, der sein Wissen aus seiner eigenen Therapiegeschichte hat, ihrem patriarchal-brutalen Soldatenvater auf den Knien beichtet, sie habe »keine Angst davor, dick zu sein. Ich will auch nicht mehr aussehen wie ein abgemagerter Schlittenhund, nur weil du Angst hast, ich werde übergewichtig.« Moderne Zeiten.

»Helden der Wahrscheinlichkeit«: Dänemark 2020. Regie und Buch: Anders Thomas Jensen. Mit: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Andrea Heick Gadeberg, Lars Brygmann, Nicolas Bro. 117 Min. Kinostart: 23. September.

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