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Wie es dort war

»Durch die Knochen bis ins Herz«: Christoph Heubner erzählt von Überlebenden des Holocaust

  • Ingrid Heinisch
  • Lesedauer: 4 Min.

Christoph Heubner hat mit vielen Überlebenden von Auschwitz am Tisch gesessen. Und mit den meisten von ihnen ist er eng befreundet. Immer widmet er ihnen freundliche, respektvolle Aufmerksamkeit, und manchmal nimmt er sie mit Berliner Schnauze liebevoll ein bisschen auf die Schippe. Das habe ich oft genug erlebt, wenn ich an diesen Tischgesprächen selbst teilnehmen konnte. Manchmal. Nicht so oft wie er.

Heubner hat diesem, seinem Alltag mit den ehemaligen Häftlingen, der ihm als Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees seit über 30 Jahren zuteilwird, das Nachwort seines zweiten Kurzgeschichtenbandes gewidmet, der von Holocaust-Überlebenden handelt: »Durch die Knochen bis ins Herz«. Das Nachwort erklärt, warum er so gut, oft sogar besser als die Überlebenden über deren Schicksal schreiben kann. Er hat zugehört, er hat das scheinbar Nebensächliche aufgenommen, das in keiner bewussten Biografie, keinem Zeitzeugengespräch oder Interview auftaucht.

Die erste Erzählung dieses Bandes ist eine Hommage an Roman Kent, den Präsidenten des Internationalen Auschwitz-Komitees, der vor Kurzem gestorben ist. Er hat eine sehr lesenswerte Biografie geschrieben: »Courage was my only option« – Mut war meine einzige Wahl –, die leider nicht ins Deutsche übersetzt worden ist. Fast 400 Seiten ist sie lang, doch Christoph Heubner hat sie auf 15 Seiten verdichtet.

Warum hat Roman Kent, der als Kind mit seinem jüngeren Bruder Leon dem Ghetto in Łódź, Auschwitz und anderen Lagern entronnen ist, warum hat er irgendwann begonnen, über Auschwitz zu berichten? Und dies schließlich zu seiner Lebensaufgabe gemacht?

In den USA wurde er ein erfolgreicher Geschäftsmann und auch ein begeisterter Tennisspieler, der sich die Mitgliedschaft in teuren Clubs leistete. Das berichtet er in seiner Biografie – aber nicht über Barry, einen seiner ständigen Partner auf dem Court. Er ist Fliesenlegermeister, ein etwas grobschlächtiger Kerl, der eines Tages die eine entscheidende Frage nach der Tätowierung auf Kents Unterarm stellt. Kent antwortet nicht gleich, erst bei ihrem nächsten Treffen, nachdem er zuvor mit seinem Bruder Leon Rücksprache gehalten hat. Leon hat gesagt: »Du musst es erzählen.«

Und dann redet Roman Kent. Es bricht aus ihm heraus, und dieser Barry, dieser einfache Kerl, hört einfach zu und manchmal fragt er: »Hat sich denn niemand gewehrt?« Kent antwortet mit der Erzählung über einen, der einen Nagel besaß; nicht um die SS-Bewacher anzugreifen, sondern um seinen Namen in eine Mauer zu kratzen und so seine Existenz zu beweisen.

Seitdem hatte Roman Kent niemals aufgehört zu erzählen. Er hat hierfür unzählige Gruppen, ob jung oder alt getroffen. Viele darunter waren Deutsche. Das Fazit, das Heubner für ihn zieht, lautet: »Heute sehe ich in den Nachrichten Menschen, die Auschwitz nicht mehr leugnen, sondern die es wieder aufbauen wollen. Sie tragen T-Shirts, auf denen Camp Auschwitz steht, und sie stecken in der Welt wie Kugeln im Lauf.« Diese Worte hat Heubner seinem Protoganisten in den Mund gelegt, der sie so selbst nie formuliert hätte. Aber sie stimmen.

Alle Erzählungen handeln von Auschwitz, aber sie richten sich vor allem in die Zukunft. Wie soll man mit dem Erlebten umgehen? Darum geht es. Heubner berichtet von dem langjährigen Direktor der Gedenkstätte von Auschwitz, Kazimierz Smoleń. Auch sein Name, wie der Roman Kents, wird nicht genannt. In seiner Amtszeit hat er nie über sich als Häftling in Auschwitz gesprochen, erst als Rentner in der Jugendbegegnungsstätte. Seine Zuhörer haben ihn bewundert, auch wegen seines sarkastischen Humors. Nie hat er zugelassen, was Heubner nun beschreibt: seine Liebe, seine Verletzlichkeit, als er sich in Auschwitz mit dem griechischen Jungen Marios befreundet, einem kleinen Olivenbauern, den er letztlich verliert.

Smoleń konnte sich damals weder die Form einer Olive vorstellen, noch wie sie schmecken oder riechen. Erst als er in den Auschwitz-Prozessen in Frankfurt am Main als Zeuge geladen wird, erhält er ein Glas Oliven von einer Begleiterin als Geschenk. Sie stellt ihm eine letzte Frage: »Wie war es dort?« – »Und wie aus der Pistole geschossen, antworte ich ihr: Dort waren Eisenbahnschienen, es gab Öfen und es war sehr heiß und sehr gefährlich.« Diese Worte stammen von Christoph Heubner, wie sie nicht besser zu Smoleń hätten passen können.

Christoph Heubner: Durch die Knochen bis ins Herz. Steidl, 112 S., geb., 12, 80 €.

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