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Deutschland an der Zwei-Grad-Grenze
Auf dem Extremwetterkongress in Hamburg diskutieren Experten darüber, wie stark die Erwärmung bereits ist und was sich noch tun lässt
Schaut man auf die vorindustrielle Zeit zurück, hat Deutschland das Zwei-Grad-Limit eigentlich schon überschritten. Laut einem am Mittwoch veröffentlichten Faktenpapier des Deutschen Wetterdienstes (DWD) war der Zeitraum von 2011 bis 2020 bereits um rund zwei Grad Celsius wärmer als der von 1881 bis 1910. Die Temperaturen in Deutschland sind damit deutlich stärker gestiegen als im weltweiten Schnitt, wo es ein Plus von 1,1 bis 1,2 Grad gibt. Der Unterschied illustriert, wie stark die Ozeane noch immer einen Großteil der zusätzlichen Wärme aufnehmen. DWD-Vorstand Tobias Fuchs, zuständig für Klima und Umwelt, bezifferte vor dem am Mittwoch begonnenen »Extremwetterkongress 2021« in Hamburg den Temperaturanstieg seit 1881 in Deutschland erneut auf 1,6 Grad. Diese Angabe ist auch noch in dem im Juni letzten Jahres veröffentlichten Nationalen Klimareport des DWD zu finden.
Fuchs erklärte die unterschiedlichen Angaben damit, dass die 1,6 Grad auf sogenannte Trendanalysen zurückgehen. Der Vergleich zum Ende des 19. Jahrhunderts ergebe hingegen einen Anstieg von 1,9 bis 2,0 Grad. Das sei eine methodische Frage. Zumindest im Faktenpapier folgt der DWD damit aber jetzt der schon im Oktober vergangenen Jahres vom renommierten Klimaforscher Stefan Rahmstorf vertretenen Ansicht, dass die mittleren Temperaturen in Deutschland seit dem späten 19. Jahrhundert bereits um volle zwei Grad angestiegen sind.
Einigkeit gibt es darüber, dass sich das Tempo der Erwärmung beschleunigt. Über den Gesamtzeitraum von 1881 bis 2020 wurde es laut DWD in Deutschland im Mittel um 0,12 Grad pro Jahrzehnt wärmer, seit 1971 lag die Erwärmungsrate mit 0,38 Grad pro Jahrzehnt aber mehr als dreimal so hoch.
DWD-Vorstand Fuchs erwähnte zum Auftakt des Kongresses aber auch die gute Nachricht, dass es noch die Chance gibt, die Folgen der Klimaveränderung zumindest zu »dämpfen«. Das erfordere aber, jetzt sofort umzusteuern. Nur mit ausreichendem Klimaschutz könne verhindert werden, dass sich Wetterextreme weiter ungebremst verschärften, sagte Fuchs. Zugleich ließen sich nur mit frühzeitiger Anpassung die Auswirkungen des Klimawandels eingrenzen. Deutschland müsse auch in 50 Jahren ein Land sein, in dem man »ganzjährig und gesund leben kann«.
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Fuchs listete eine Reihe heute schon feststellbarer Wetterextreme auf, die durch den Klimawandel verstärkt werden: Demnach stieg die Zahl heißer Tage mit einer Höchsttemperatur von 30 Grad und mehr seit den 1950er Jahren von jährlich drei auf neun. Bei weiter ungebremstem CO2-Ausstoß könnte die Zahl solcher Hitzetage im Zeitraum von 2031 bis 2060 im Norden Deutschlands um fünf bis zehn zunehmen, im Süden um zehn bis zwanzig.
Auch nimmt besonders im Sommer die Zahl aufeinanderfolgender Trockentage zu. Das führt zu zunehmenden Wasserdefiziten in den Böden. So lag die Zahl der Tage mit hohem bis sehr hohem Waldbrandrisiko im Zeitraum von 1961 bis 1990 bei etwa 27, im Zeitraum von 1981 bis 2010 bei 33 und von 1991 bis 2020 sogar bei 38.
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Nur unwesentlich verändert hat sich im Zeitraum von 1951 bis 2020 die Zahl der Tage mit Niederschlägen von mehr als 20 Litern je Quadratmeter. Für Starkregenereignisse gibt es aber noch zu wenig belastbare Messungen, weil der dazu dienende Regenradar erst seit 2001 aktiv ist. Derzeit lässt sich laut DWD nur für einige Regionen feststellen, dass sich dort eine Zunahme von Starkregen andeutet. Schon jetzt feststellbar ist jedoch, dass der Meeresspiegel an Nord- und Ostsee in den letzten 100 Jahren um 15 bis 20 Zentimeter gestiegen ist.
Laut dem Meteorologen und Fernsehmoderator Sven Plöger sind die Menschen angesichts des Klimawandels besorgt. Wie er zum Kongressauftakt berichtete, werde ihm derzeit am häufigsten die Frage gestellt, ob es noch möglich sei, umzusteuern. Nach seinem Eindruck äußern sich darin auch Mutlosigkeit und Angst. Das merke er auch an den Zuschriften der Zuschauer, die meist von Männern über 65 stammten. Diese fragten sich, ob nun ihr mühsam errungener Wohlstand verloren gehe, wenn sich wegen des Klimaschutzes so viele Dinge ändern müssten. Diese Angst könne lähmen.
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Plöger stellte in dem Zusammenhang die Frage, ob es richtig sei, wenn Medien immer häufiger die Apokalypse an die Wand malen und das Extremste nach vorn stellen. So werde die Angst eher noch befördert und die Menschen könnten möglicherweise nicht für das gemeinsame Ziel gewonnen werden. Als Alternative schwebt ihm allerdings nur vor, stärker »positiv« zu kommunizieren und die Chancen deutlich zu machen. Man könne zeigen, wo auf der Welt es »tolle« praktische Beispiele gebe, etwa Start-ups, die »fantastische« Dinge machten. Sich den ganzen Tag zu erzählen, wie schlimm es werde, sei dagegen »sehr, sehr ermüdend«.
Gleichzeitig beklagte Plöger unzureichende politische Rahmenbedingungen. Derzeit sei die Welt in einem Zustand, wo eine Person, die die Umwelt verschmutzt, reicher werden könne als eine, die sie sauber hält. Solange sich daran nichts ändere, seien keine grundsätzlichen Erfolge möglich.
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