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Ein Weltbürger in der DDR
Ein filmisches Porträt: »Walter Kaufmann – Welch ein Leben« von Karin Kaper
Dieser Autor lebte das, was er aufschrieb. Er suchte die Begegnung mit anderen Menschen, mitunter sogar das Abenteuer. Ein Chronist seiner vielen Reisen, einige davon nicht freiwillige. Als Walter Kaufmann im April dieses Jahres mit 97 Jahren starb, hatte er bis zuletzt Bücher herausgebracht, darunter »Im Fluss der Zeit: auf drei Kontinenten«, »Meine Sehnsucht ist noch unterwegs. Ein Leben auf Reisen« oder noch 2018 »Die meine Wege kreuzten. Begegnungen aus neun Jahrzehnten«.
Während für andere Autoren Schreiben ein »Gewaltakt in Isolation« (Gottfried Benn) ist, bei dem sie nicht gestört werden wollen, nicht heute, nicht morgen und auch nicht in einem Jahr, suchte Kaufmann die Störung, denn sie war für ihn der nie ausrechenbare Stoff des Schreibens.
Wer hätte sich sonst für acht Jahre, von 1985 bis 1993 zum Vorsitzenden des deutschen PEN-Clubs/Ost machen lassen, verlorene Schreibzeit, wie er selbst konstatierte. Aber traf man ihn bei derartigen Anlässen bis zum Corona-Lockdown, war er stets umringt von Bekannten, ins Gespräch vertieft – oft auf Englisch, das ihm vertrauter blieb als Deutsch –, aber immer offen für Hinzutretende, die er wie selbstverständlich in seinen Kreis mit aufnahm. Er hatte fernab jedes Dünkels jenes »Talent zum Menschen«, das den Reporter, der er auch war, auszeichnet. Als er im vergangenen Herbst über mein letztes Buch schrieb, es zeuge von einem »schönen Trotz«, hätte wohl niemand anderes solch eine Formulierung gewählt, sie passte zu ihm.
Es ist weit mehr als eine Geste der Erinnerung an die außergewöhnliche Persönlichkeit Walter Kaufmanns, dass Karin Kaper nun einen sehenswerten Film über sein Leben gedreht hat, getragen von Gesprächen mit ihm bis kurz vor seinem Tod. Es ist ein wichtiger Film, weil er mit seinem Schicksal auch das 20. Jahrhundert porträtiert, mit all seinen Verbrechen und den Hoffnungen danach.
Kaufmann, das spürt man in jeder Szene, ist die Kindheit nie fern gerückt. Geboren wurde er 1924 als Sohn einer polnischen Verkäuferin im Berliner Scheunenviertel. Sie war zu arm, um das Kind behalten zu können, nach drei Jahren wurde er von dem jüdischen Ehepaar Johanna und Sally Kaufmann in Duisburg adoptiert. Der Adoptivvater war Anwalt und Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. Eine gutbürgerliche Kindheit, der es an nichts fehlte – als jedoch die Nazis an die Macht kamen, habe er das kommende Unheil sehr genau gefühlt, erinnert Kaufmann, obwohl seine Mitschüler zu ihm hielten. Nur manchmal hieß es: »Schade, dass du Jude bist.«
Der Vater bekam als Anwalt Berufsverbot, da wusste die Familie, was ihr drohte. 1939 gelangte der 15-jährige Walter mit einem jüdischen Kindertransport nach London, die Eltern hatten Visa in die USA beantragt. Wenn Kaufmann über sein Leben spricht, dann hält er immer auch Gericht über sich selbst. Das eigene Versagen, in kleinen und doch wichtigen Situationen, hat ihn nie losgelassen. Wie konnte er seiner Adoptivmutter bei ihrem Abschied (es war einer für immer) auf dem Bahnhof sagen, sie solle nicht traurig sein, er sei schließlich nicht ihr richtiger Sohn? Der fast Hundertjährige schüttelt den Kopf, hat das Bild der blass und stumm gewordenen Frau vor sich, die auf dem Bahnsteig zurückbleibt.
Bei Kriegsausbruch schließt das US-amerikanische Konsulat, die Eltern sitzen in Duisburg fest. Und auch dem Jungen geht es nach kurzer Zeit der Geborgenheit auf einer Internatsschule nicht gut – mit 16 Jahren wird er 1940 von den Briten als »feindlicher Ausländer« in Liverpool interniert, eine Odyssee von Lager zu Lager führt ihn schließlich mit dem Gefangenenschiff »Dunera« bis nach Australien. Man kann diese Zeit auch anhand der Briefe der Eltern an ihn nachvollziehen, die er alle sorgsam aufbewahrt hat, und die nun als Buch, herausgegeben von L. Joseph Heid (mit einer lesenswerten biografischen Einleitung versehen), im Klartext Verlag erschienen sind: »›Alles Schreiben hat ja das Ziel, daß wir drei wieder zusammen kommen.‹ Nachrichten an den Sohn Walter Kaufmann 1939–1943«. Die Adoptiveltern werden nach Theresienstadt deportiert und 1943 in Auschwitz ermordet.
In Australien verbringt Walter Kaufmann anderthalb Jahre in Wüstencamps hinter Stacheldraht. Gerettet und doch gefangen! Aber schon hier zeigt sich seine Fähigkeit, in engen Kontakt mit Menschen zu kommen. Einen britischen Wachsoldaten, den er auf der »Dunera« kennenlernte, porträtiert er Jahrzehnte später in dem Buch »Die meinen Weg kreuzten«. Die Australier gefallen ihm, sind offen und pragmatisch, er selbst sei ein halber Australier geworden, wird er später bekennen – seinen australischen Pass hat er darum auch nie abgegeben. Dieser ermöglichte ihm auch zu DDR-Zeiten in alle Welt zu reisen und darüber zu schreiben.
Nach vier Jahren in der australischen Armee wird er Obstpflücker, Hafenarbeiter, Hochzeitsfotograf und Seemann. Ein Jack-London-Schicksal. Er wird Mitglied der australischen KP und kehrt 1955 nach Europa zurück, kommt 1956 in die DDR. Seine ersten Bücher sind dann auch Übersetzungen aus dem Englischen. Die DDR ist einerseits froh über einen so weltläufigen Geist wie den Kaufmanns, andererseits misstraut sie ihm, wie sie allen Westemigranten misstraute. Die Stasi überwacht ihn – und sucht sich dazu ausgerechnet die junge Christa Wolf, zu der Zeit Redakteurin der Zeitschrift »Neue Deutsche Literatur« – Kaufmann hat das nach der Wende nie gegen sie verwendet.
In Karin Kapers Filmporträt zeigt sich Kaufmann als jemand, dem eine Eigenschaft völlig fremd ist: Selbstgerechtigkeit. Als er mit seiner Frau Anfang der 60er Jahre per Schiff nach Kuba reist, erfährt der Schiffsarzt, dass sie schwanger ist; sie muss das Schiff sofort verlassen. Walter Kaufmann setzt die Reise noch monatelang fort, warum bloß sei er nicht mit ihr von Bord gegangen, fragt er sich später. Kaufmann, der immer einen direkten Reportagestil kultivierte, bleibt dennoch ein Moralist im besten Sinne. Einer, der sich selbst ständig befragt, ob das, was er macht, auch richtig ist. Er kämpft dabei mit seinem Egoismus (den hat er wie jeder Autor), unterliegt des Öfteren, worunter er dann später leidet.
Dieser Film kann nicht alle Reisen, die Kaufmann um die Welt führten, nachvollziehen. Es sind zu viele. Aber die Regisseurin trifft einige der wichtigen Personen in seinem Leben, darunter Angela Davis. Beim Prozess gegen die Bürgerrechtlerin 1972 ist er als Berichterstatter dabei, wird Zeuge ihres Freispruchs. So holt Kaufmann die weite Welt in die kleine DDR, die ihm jedoch oft genug zu eng wird, sodass er froh ist, dass es Schiffe gibt, mit denen er – dank seines australischen Passes – übers Meer davonfahren kann. Wie anfangs, als er einfacher Matrose war, was er nie vergaß.
»Walter Kaufmann – Welch ein Leben!«: Deutschland 2021. Regie: Karin Kaper und Dirk Szuszies. 101 Minuten.
Premierenveranstaltung am 28.9. um 19.30 Uhr im Berliner Kino Babylon (Rosa-Luxemburg-Platz) mit dem Filmteam und weiteren Gästen u. a. Gregor Gysi. Moderator: Knut Elstermann.
Bundesweiter Kinostart am 30. September.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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