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Träume nicht, lebe!
Maxim Billers »Der falsche Gruß« ist ein Sittenbild des Kulturbetriebs - und gleichzeitig viel mehr
Natürlich haben wir ihn nicht verstanden, damals, in den seligen 90ern. Die heilige Dreifaltigkeit aus Techno, »Tempo« und Tequila sorgte dafür, dass wir vor lauter Feiern gar nicht mitbekamen, was jenseits der Clubs und Bars und Szene-Cafés geschah. Aber Maxim Biller bekam es mit. Weil er nüchtern blieb. Und wenn er in »Tempo«, jener Zeitschrift, deren Name Programm war, allmonatlich seine »Hundert Zeilen Hass« abfeuerte, zweifelten auch wir einen Cappuccino lang, ob dieses Deutschland wirklich so berauschend und so lässig war, wie wir kurz vor der Sperrstunde glaubten.
Natürlich meinte er uns, als er in einer seiner Hass-Kolumnen gegen den Alkohol wetterte. Wir waren die »Pseudoexistenzialisten der affektiertesten Sorte, die (…) erst ab zwei Promille den Mund aufkriegen.« Juden, wusste Biller, haben das nicht nötig. Sie brauchen den Maulentsperrer Alkohol nicht. »Juden trinken nun mal nicht. Juden sind der Meinung, dass das Leben hier unten stattfindet, auf der Erde, auf dem allerhärtesten Boden der allerhärtesten Tatsachen, und zwar auch wirklich nur dann, während man lebt.«
Und natürlich ist das erstens eine unfaire Verallgemeinerung und zweitens dennoch irgendwo wahr. Das wird einem beim Lesen von Maxim Billers aktuellem Roman »Der falsche Gruß« bewusst. Vordergründig geht es um zwei Autoren. Der eine, der Jude Hans Ulrich Barsilay, ist ein erfolgreicher »Großschriftsteller«, »Rasputin persönlich«, ein »Klatschmaul«, ein Bonvivant, »süß und kannibalenhaft lächelnd«, ein charmanter »Krawallmacher« und »gleichzeitig ein sehr trauriger und sehr fröhlicher Mann, was die Frauen - die interessanten Frauen - ja besonders gern mögen.«
Der andere, der Nichtjude Erck Dessauer, ist ein erfolgloser Auftragsschreiber, »ein ziemlicher Spinner«, ein »seltsamer Luftmensch«, dem seine »professorale Verträumtheit« und »aufreizende Verletzlichkeit« zusetzen. Vor allem aber ist er ein Möchtegern, neidzerfressen, verklemmt und verdruckst. Immer wieder kreisen seine Gedanken um den »großen Barsilay« und dessen »platinblonde Sirene« - der Ich-Erzähler als Würstchen.
Hätte Biller auf die ethnisch-kulturellen Zuordnungen - hier Gojim, dort Jude - verzichtet, dann wäre »Der falsche Gruß« nichts weiter als ein Sittenbild des Kulturbetriebs. Eine saftige Farce über die geistige Welt, in der es auch nicht gesitteter zugeht als in Politik und Wirtschaft. Eine intellektuelle Seifenoper über ein Milieu, in dem Eitelkeit und Missgunst, Minderwertigkeitskomplexe und Größenwahn, Machtwille und Rachegelüste das Handeln der Protagonisten bestimmen. In diesem Mikrokosmos ist jeder Essay ein Versuch, aus der Masse der Schreiber hervorzustechen, und jeder Roman ein Kraftakt, um der eigenen Lebensgeschichte ein Happy End hinzuzufügen. Das alles klingt nicht sonderlich sympathisch, aber menschlich und vertraut - »Der falsche Gruß« als kunstvolles Remake von Guy de Maupassants »Bel-Ami«. Denn wie eh und je gilt: Keiner schreibt in Deutschland so elegant und zugleich so chirurgisch präzise wie Maxim Biller.
Aber er will mehr. Es ist kein Zufall, dass dieser Vorzeige-Romancier als Journalist begann. »Die Tempojahre« (so auch der Titel seiner ersten Sachtextsammlung) von 1986 bis 1996 prägten sein Schreiben. Damals verfasste Biller neben seinen Hass-Kolumnen auch Reportagen, in denen er vom Prag der Wendezeit und von den Menschen in Ernst Jüngers Wohnort berichtete. Auch führte er intensive Gespräche - mehr Verhör als Interview - mit so grundverschiedenen Charakteren wie Elfriede Jelinek, Harald Juhnke, Marcel Reich-Ranicki, Ralph Siegel und Fritz J. Raddatz. Und stets ging es darum, dass Biller nach dem Wesen von Phänomenen und Personen suchte. Er wollte das Eigentliche hinter dem Offensichtlichen finden. War der Schlagerkomponist Ralph Siegel (»Ein bisschen Frieden«) tatsächlich so traurig und resigniert, wie er auf den ersten Blick wirkte?
Vor allem eine Frage beschäftigt Biller immer wieder in seinen mittlerweile 35 Jahren als hauptberuflicher Wahrheitssucher: Warum will es ihm, dem Juden mit tschechischen Wurzeln, der wie kein anderer Gegenwartsautor das »Land der Dichter und Denker« verkörpert, nicht gelingen, sich in Deutschland heimisch zu fühlen?
Der Antwort kommt er in »Der falsche Gruß« näher denn je. Er stellt mit Erck Dessauer und Hans Ulrich Barsilay ja nicht nur zwei Individuen gegenüber, sondern zwei Welten. Der Nichtjude träumt von jenem anderen, aufregenden Leben, dass der Jude längst lebt. Doch als sein Traum scheinbar wahr wird - er steigt empor, der andere stürzt ab -, ist er immer noch … ein Würstchen.
Das liegt natürlich daran, dass auf dem Ich-Erzähler neben seinen eigenen persönlichen Niederlagen die komplette neuere deutsche Geschichte lastet. Der eine Großvater ein hoher Nazi, der von den Polen gehenkt wurde, der andere ein Halbjude, der bei der Wehrmacht untertauchte, und der Vater, ein Universitätsprofessor, der nach der Niederschlagung des Prager Frühlings in die SED eintrat, jawohl: danach.
Alles ziemlich trostlos. Maxim Biller macht dort weiter, wo Alexander und Margarete Mitscherlich aufgehört haben. »Die Unfähigkeit zu trauern« wird bei seinem Ich-Erzähler zur Unfähigkeit zu reden. Der Versuch, einen Roman über das Leben seiner Mutter zu verfassen, die in ein Kloster nach Israel floh, scheitert bereits daran, dass er nicht weiß, wo er anfangen soll. »Es ging niemanden etwas an, wer ich bin, woher ich komme, was ich schreibe, schon gar nicht einen von ihnen!« - »ihnen«, das sind die Juden. Die nämlich können sehr wohl darüber schreiben, wer sie sind und woher sie kommen.
Nicht weil sie die besseren Menschen wären. Billers selbstbiografischer Roman »Sechs Koffer« handelte von einem tödlichen Verrat in der eigenen Familie, was die »Süddeutsche Zeitung« zu der treffenden Überschrift »Verdammte Verwandte« inspirierte. Und der jüdische Hauptakteur in »Der falsche Gruß« ist auch nicht das, was man einen Sympathen nennt - bei Biller kriegen alle ihr Fett weg. Der Unterschied: Während die Deutschen, gefangen zwischen Herrenmenschendenken und Selbstmitleid, sich immer nur vorstellen, wie das wahre, echte, richtige Leben aussehen könnte, bleibt den Juden, die seit jeher zwischen alle Fronten geraten, nichts anderes übrig als zu leben oder wenigstens zu überleben. Das ist der Stoff, aus dem Geschichten sind. Und große Literatur.
Sie finden, das alles klinge jetzt alles arg pauschal? Es gebe doch Deutsche, die ganz anders seien. Auch darauf fand Maxim Biller schon vor Jahren (in einem Interview mit der »Taz«) die passende Antwort: »Ich habe sehr viel stillen Rassismus in den 70er und 80er Jahren in Deutschland erlebt. Als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener. Irgendwann habe ich mir gedacht: Ihr verallgemeinert mich, und wisst Ihr was? Ihr habt recht! Ich würde mich zwar anders verallgemeinern, als Ihr mich verallgemeinert, aber bitte, und darum werde ich euch ab jetzt auch verallgemeinern.«
Maxim Biller: Der falsche Gruß. Kiepenheuer & Witsch, 128 S., geb. 20 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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