Europas Abstieg geht weiter

Durch den Abzug der Bundeswehr verliert der »alte Kontinent« weiter an Bedeutung, meint Jörg Kronauer.

  • Jörg Kronauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Werden sie jetzt wirklich in Mali eingesetzt, die Einheiten der russischen Söldnerfirma Wagner? Schon seit Wochen machen Berichte die Runde, die nach dem jüngsten, zweiten Putsch gebildete Übergangsregierung in Bamako wolle eine größere Zahl von ihnen anheuern – zum Schutz führender Politiker und staatlicher Institutionen, aber auch als Teilersatz für die abziehenden Soldaten der französischen Opération Barkhane. Als »Plan B«, wie es Premierminister Choguel Maïga vor kurzem ankündigte. Von bis zu tausend Mann ist die Rede. Mittlerweile hat Russlands Außenminister Sergej Lawrow bestätigt, Malis Übergangsregierung habe sich tatsächlich in der Sache an »eine private Militärfirma aus Russland gewandt«. Und am Wochenende legte Maïga nach: Sein Land fühle sich von Frankreich, das seine Präsenz in Mali reduzieren wolle, im Stich gelassen, teilte er am Rande der UN-Generalversammlung mit. Man benötige nun Ersatz.

Der Einsatz europäischer Streitkräfte in Mali ist eine Geschichte des Scheiterns. Wie üblich war er zu Beginn im Westen gefeiert worden: Französische Truppen hatten Anfang 2013 djihadistische Milizen, die den Norden des Landes beherrscht hatten, vertrieben. Nun sollten französische Kampftruppen, die heutige Opération Barkhane, sie weiter jagen, während UN-Blauhelme mit signifikanter deutscher Beteiligung (MINUSMA) die von Djihadisten befreiten Gebiete sichern und ein EU-Ausbildungseinsatz (EUTM Mali), maßgeblich mitgetragen von der Bundeswehr, die malischen Streitkräfte befähigen sollte, die Dinge perspektivisch in die eigene Hand zu nehmen. Das klang für europäische Ohren nach einem Erfolgskonzept. War es aber nicht. Acht Jahre später zeigt sich: Die Djihadisten werden nicht schwächer, sondern stärker, haben sich längst auch im Zentrum des Landes und in Teilen mehrerer Nachbarstaaten festgesetzt. Zum eskalierenden Terror kommen noch von malischen Militärs begangene Massaker und französische Luftangriffe mit zivilen Todesopfern hinzu. Die Zahl der Toten schwillt an; Besserung ist nicht in Sicht.

Jörg Kronauer
Der Journalist ist Redaktionsmitglied bei www.german-foreign-policy.com.

Wie weiter? Die Entwicklung in Afghanistan, mit der Beobachter die Entwicklung in Mali schon seit Jahren vergleichen, hat gezeigt: Man kann den Krieg zwei Jahrzehnte in die Länge ziehen und ihn dennoch verlieren. Es kommt hinzu: Die französischen Streitkräfte, die immer mehr Soldaten für Mali abstellen mussten – zuletzt waren es über 5000 – , gelten als überdehnt. Paris sucht nach einem Ausweg. Zudem wächst in Mali der Unmut: im Militär, das oft unzureichend ausgerüstet in gefährliche Operationen gegen Islamisten geschickt wird; in Teilen der Eliten, weil die stetige Einmischung der Europäer die Konfliktlösung zusätzlich erschwert; in der Bevölkerung, die sich immer häufiger gegen den französischen Neokolonialismus wehrt und ihn dabei längst auch offen als solchen benennt. Frankreich hat den Abzug eines Teils seiner Truppen eingeleitet und arbeitet parallel an einem neuen, etwas kleineren EU-Einsatzformat, der Task Force Takuba. In ersten Ansätzen wird bereits über einen Abzug der Bundeswehr diskutiert. Und dann?
Niemand hat eine wirkliche Lösung parat. Die Übergangsregierung in Bamako, die sich ja nicht wie die Europäer per Truppenabzug aus der Affäre ziehen kann, sucht nach Alternativen. Mali hat bereits vor zwei Jahren ein Abkommen zur Militärkooperation mit Russland geschlossen; malische Offiziere haben Kontakte nach Moskau geknüpft und ausgebaut. Aus ihrer Sicht liegt es mit Blick auf die Abzugsdebatte in Europa nahe, nun einen Deal mit der Söldnerfirma Wagner anzubahnen. Die Reaktion in Europa? Schäumende Empörung.

Man darf sich nichts vormachen: Wagner ist eine schreckliche blutige Söldnerfirma wie andere, oft westliche Söldner auch. Darum geht es aber nicht. Der politische Kern der Sache ist: Nach Lage der Dinge könnte Moskau in einem dritten Land des Staatengürtels rings um die EU – nach Syrien und Libyen – entscheidenden oder zumindest starken Einfluss gewinnen, während die Mächte Europas, einst dominant, immer weniger zu sagen haben. Das treibt auch deutschen Politikern die Zornesröte auf die Gesichter: Die Niederlage in Mali ist der nächste Schritt im Abstieg Europas.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.