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Anekdotische Evidenz
Im SPD-Schattenkabinett hält sich ein fragwürdiger Aspirant für ein Ministeramt bereit
Das wichtigste politische Thema der vergangenen eineinhalb Jahre spielte im Wahlkampf fast keine Rolle. Die meisten Kandidat*innen redeten kaum über Corona, und die ganz große Koalition, unter Einschluss der Grünen, war sich bei den TV-»Triellen« in Sachen Pandemiebekämpfung sowieso immer einig. Weil Olaf Scholz anders als Armin Laschet nie eine Riege potenzieller Minister*innen präsentiert hat, blieb weitgehend verborgen, wer in einer Regierung unter seiner Führung gute Chancen auf das derzeit besonders wichtige Gesundheitsressort hat: Es ist Karl Lauterbach.
»Nein! Panikmacher!« Mit diesem und ähnlichen Sprüchen werden seit Wochen Lauterbach-Plakate im Wahlkreis Köln-Mülheim versehen. Hier will der »Professor«, wie ihn die SPD neben dem Konterfei anpreist, sein Bundestagsmandat verteidigen. Die Chancen stehen gut, denn er kann auf eine große Gemeinde zählen, im Internet wie im wirklichen Leben. Wer ihn kritisiert, stößt stets auf das gleiche Gegenargument: »Aber er hatte doch immer Recht!« Hatte er keineswegs. Die Liste seiner Irrtümer ist lang.
Gleich im ersten Lockdown nervte Lauterbach Eltern mit der Forderung nach langen Schulschließungen, ohne sich für die psychosozialen Folgen zu interessieren. Später pries er Asthma-Nasensprays als »Gamechanger« gegen schwere Verläufe der Erkrankung, trotz des Widerspruchs zahlreicher Fachleute. Beim Virologen Hendrik Streek musste er sich für Angriffe auf dessen angeblich zu optimistische Prognosen zum Infektionsverlauf im Sommer entschuldigen. Auch gegenüber der »Bild«-Zeitung sah er sich genötigt zurückzurudern und korrigierte Falschaussagen hinsichtlich der Delta-Variante und hospitalisierten Kindern. Um seine Kompetenz zu untermauern, verweisen wohlgesonnene Talkshow-Moderatoren gerne darauf, dass er seine Nächte mit der Lektüre von Studien verbringe. Das kann man sich lebhaft vorstellen, doch der Erkenntniswert ist bisweilen mager.
Als Lauterbach wieder einmal vor überlasteten Krankenhäusern warnte und nach der Datenbasis seiner Aussage gefragt wurde, stellte sich heraus, dass er lediglich zwei ihm bekannte Klinikleiter angerufen hatte. In Fachkreisen nennt man so etwas ironisch »anekdotische Evidenz«. Als Dänemark im Frühjahr eine Langzeit- inklusive Exitstrategie vorstellte, nannte Lauterbach das einen »spektakulären Fehler«, vor dem er nur warnen könne. Stattdessen ein eigenes Konzept zu entwickeln, hat er stets unterlassen, lieber warnt er weiter. Doch wieso nimmt ihm das seine Anhängerschaft nie übel? Warum richten sich seine Fans wohlig-gruselnd im permanenten Panikmodus ein, und warum kann er den daraus resultierenden Gehorsam täglich neu einfordern?
Für den amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn wäre ein sozialdemokratischer Kanzler wohl das vorläufige Ende seiner Karriere. Spahns Handeln in der Pandemie kann man aus vielen Gründen kritisieren, doch nach der Wahl könnte es noch schlimmer kommen. Denn da wartet eben schon einer hoffnungsfroh auf die Fortsetzung der Rolle seines Lebens - diesmal nicht im Fernsehen, sondern in einem wichtigen Amt. Lauterbach ist kein harmloser schräger Vogel. Er ist vor allem ein Narzisst. Anders kann man das fortwährende alarmistische Twittern, die Gier nach ständiger Medienpräsenz kaum erklären. Problematisch ist, dass er dabei stets beansprucht, als abwägender und verantwortungsbewusster Politiker aufzutreten.
Verhindert Lauterbach! Ein derart unseriöser Selbstdarsteller darf nicht Gesundheitsminister werden! Dieses Veto sollten Grüne und FDP, im eher unwahrscheinlichen Fall auch die Linkspartei, bei kommenden Koalitionsverhandlungen einlegen - und zur Bedingung einer gemeinsamen Regierung machen.
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