Zeit für kleine Brötchen

Die künftigen politischen Erfolge der Linken hängen auch von der Regierungsbildung ab: Bei einer Ampelkoalition wäre mehr Spielraum für eine sichtbare Opposition.

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 4 Min.

Was jetzt und in den nächsten Monaten in der Partei Die Linke passiert, lässt sich wohl nicht vermeiden: Heulen und Zähneklappern, Schuldzuweisungen, vielleicht hässliche Dinge. Das ist alles schon einmal da gewesen: 2002.

Später wird man hoffentlich etwas nüchterner bilanzieren, vielleicht so: Die Linke hat eine fürchterliche Wahlschlappe erlitten. Aber es gibt sie noch, sogar im Deutschen Bundestag, allerdings gerupft. Aus keinem Landtag ist sie nach 2013 (als das Zwischenhoch im Westen endete) hinausgeflogen, trotz aller Verluste. In drei Jahren ist Europawahl. Da gibt es keine Fünf-Prozent-Klausel, Die Linke wird dort weiter vertreten sein. Vergessen wir nicht die vielen, teilweise sogar prächtigen Linksfraktionen in den Kommunen, übrigens auch im Westen.

Der Schaden der Bundestagswahl vom 26. September ist riesig, aber nicht unendlich. Was der Linken fürs Erste bleibt, sind kleine Brötchen, verglichen mit den großen Torten, an denen manche Euphoriker*innen in ihren Filterblasen sich vorab schon den Magen verdorben haben mögen.

Zur Bilanz gehört auch die Kenntnisnahme eines Strukturproblems: Die Partei Die Linke ist der kleinere Teil eines sozialdemokratischen Potenzials, das nach wie vor schrumpft. Es betrug 2005 - addiert man die Anteile der Linken mit der SPD - noch 42,9 Prozent. 2009 blieben davon 34,9 Prozent übrig, 2013 waren es 34,3 Prozent, ein Tiefststand von 29,7 Prozent wurde 2017 erreicht. Die leichte Erholung um 0,9 Prozentpunkte jetzt, also auf 30,6, kann noch nicht als Trendwende gelten. Die Wahlergebnisse der Linkspartei und der SPD sind voneinander abhängige Variablen: Was die einen verlieren, gewinnen die anderen.

Wie Die Linke hierbei dastehen wird, könnte auch von der Regierungsbildung, mit der sie selbst gar nichts zu tun hat, abhängen. Kommt es zu Jamaika, wird der Oppositionsführer Olaf Scholz (SPD) die Regierung als Horrorkabinett der sozialen Kälte anklagen und ihr die sozial- und steuerpolitischen Vorstellungen entgegenhalten, die er in seinem Wahlkampf hat durchblicken lassen. Die Linke wird daneben einen schweren Stand haben. In einer Ampelkoalition allerdings wäre Scholz ein Kanzler unter einem Finanzminister Christian Lindner (FDP) und würde seine Wahlversprechen vom Tisch nehmen. Schlecht für das Land (um genau zu sein: ebenso schlecht wie Schwarz-Grün-Gelb), schlecht für die SPD, sehr gut fürs Kapital. Die Linke allerdings hätte mehr Spielraum für eine sichtbare Oppositionspolitik.

Aber das wäre nur eine Augenblickskonstellation. Damit wäre die Frage nach der Identität dieser Partei noch nicht beantwortet. Sie selbst nennt hier ihr Eintreten für soziale Gerechtigkeit. Das nimmt aber auch die Sozialdemokratie für sich in Anspruch - obwohl sie dies unter Altbundeskanzler Gerhard Schröder aufgab. Das gab der Linken viel Luft zum Atmen. Inzwischen hat die SPD begonnen, sich etwas zu korrigieren. Ihr Arbeitsminister Hubertus Heil machte einen recht guten Job. Die Linke konkurriert auf demselben Feld wie sie.

Anders sieht es mit der Friedenspolitik aus. Hier läuft niemand der Linken den Rang ab. Stimmen bringt ein solches Engagement allerdings nur, wenn die lieben Landsleute fürchten müssen, dass ein Krieg für Europa droht. Diese Gefahr spülte 1983 die Grünen - neben dem Umweltthema - erstmals in den Bundestag. Kriegsgefahr in anderen Weltgegenden bringt dagegen hierzulande keine wahlrelevante Friedensbewegung auf die Beine.

Also bleibt es in der nächsten Zeit bei den nahrhaften, wenngleich bescheidenen kleinen Brötchen. Auch die könnte Die Linke, wenn sie sich dumm genug anstellt, noch verlieren. Wie?

Als Antwort sei ein kleines Geheimnis verraten: Zumindest im Westen besteht die Wähler*innenschaft der Linken aus Menschen, die sie kaum kennen. Für ihr Kreuz suchen sie eine linke Partei, die einerseits radikal ist, andererseits noch am ehesten Chancen hat, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Manchmal klappt das, manchmal nicht. So ist es nun mal, wenn man auf dem linken Rand balancieren muss. Wenn Die Linke mehr sein will als das, könnte sie noch das Wenige verlieren, das sie immerhin schon hat.

Georg Fülberth, geboren 1939, ist Politikwissenschaftler und Historiker

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