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- Linke-Wahlschlappe
An ihm lag's nicht
Die Linke ist bundesweit geschwächt, aber auf Landesebene weiter gefragt – zum Beispiel in Thüringen mit Bodo Ramelow.
Vor wenigen Wochen, als der Ausgang der Bundestagswahl noch höchst unsicher und eine rot-grün-rote Bundesregierung zumindest theoretisch im Bereich des Möglichen schien, hatte sich Bodo Ramelow einen vermeintlich klugen Plan zurechtgelegt: Der über Parteigrenzen hinweg geschätzte Linke-Ministerpräsident von Thüringen hatte angeboten, im Falle von Sondierungsgesprächen zwischen SPD, Grünen und seiner eigenen Partei als Vermittler zu fungieren. Doch daraus wurde bekanntlich nichts, und so bleibt ihm statt eines Balkonfotos mit Olaf Scholz und Annalena Baerbock nur Haus Dacheröden, Erfurt: Abseits des großen Rummels schlüpfte Ramelow dort am Mittwochmittag vor versammelter Presse in seine alte Rolle – die des Staatsmanns – zurück und nahm einige Ausführungen über den im Jahre 2022 in Erfurt stattfindenden Tag der Deutschen Einheit sowie seine baldige Zusatzfunktion als Bundesratspräsident vor. Am 1. November übernimmt er dieses Amt turnusmäßig von Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU).
»Zusammen wachsen« – unter diesem Motto will Ramelow in den kommenden zwölf Monaten die Geschicke des Bundesrates leiten. Dies erscheine ihm »nach dem letzten Sonntag noch notwendiger«, sagte er mit Blick auf das Wahlergebnis, eine Analyse des Scheiterns der Linken zunächst vermeidend. Er habe »den Eindruck, dass wir uns in tektonischen Flächen auseinanderbewegen, die dazwischen größere Gräben hinterlassen«, machte »Ost-West, Stadt-Land, Oben-Unten« als zentrale Konfliktlinien fest. Hinsichtlich der Klimaziele sagte er, man müsse auch die Sorgen derer ernst nehmen, die um ihr Auto fürchten. Mit Blick auf Ostdeutschland fügte er an, dass Zusammenwachsen »mehr heißt als Sandmännchen«, man müsse auch über Kinderbetreuung und Polikliniken reden: »Ökonomisch sind wir auf einem guten Weg, jetzt brauchen wir ein gesellschaftliches Zusammenwachsen.«
Doch natürlich dauerte es nicht lange, bis Ramelow – gefragt von einem Journalisten – auch über die Linke sprechen musste. »Natürlich gilt das Wort Zusammenwachsen auch für meine Partei«, sagte er – angesichts zahlreicher innerparteilicher Konflikte rund um Außenpolitik, Bundeswehr-Einsätze und Sahra Wagenknecht eine nachvollziehbare Botschaft –, um hernach eine Gesamteinschätzung vorzunehmen: Ihm sei klar gewesen, dass nach 16 Jahren Bundeskanzlerin Angela Merkel »eine völlige Veränderung« anstehe, die sich am Sonntag gerade in Ostdeutschland zeigte, wo die SPD klar gewann und die CDU deutlich hinter sich ließ. Zuvor hatte Ramelow vor einem überdimensionierten rot-gelben Herz als Logo des Einheitstags in Erfurt im kommenden Jahr posiert und dabei über die scheidende Regierungschefin und ihre berühmte »Raute« gewitzelt: »Falls sich jemand an eine bestimmte Geste einer bestimmten Bundeskanzlerin erinnert: Das ist völlig unbeabsichtigt.«
Linke ist auf Landesebene weiter gefragt
An Tag drei nach dem Wahldebakel der Linken kann Ramelow also schon wieder lachen. Dabei dürfte ihm gerade das Ergebnis seiner Partei in Thüringen auf den Magen geschlagen haben. Auch hier, wo die Linke seit 2014 den Ministerpräsidenten stellt und nicht nur bei den Wahlen, sondern auch in Umfragen stets ordentliche bis sehr gute Ergebnisse erzielte, passte sie sich nun dem Bundestrend an, holte nur noch 11,4 Prozent der Zweitstimmen. Zum Vergleich: Nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit Hilfe von CDU- und AfD-Stimmen zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten stand die Linke in Landes-Umfragen vorübergehend bei 40 Prozent. Nun hatte sie auch auf Wahlkreisebene kein einziges Wörtchen mitzureden: Der Kampf um die Direktmandate fand zwischen SPD (3) und AfD (4) statt. Im katholischen Eichsfeld gewann, wie immer, die CDU.
Dass nun ausgerechnet ein Linker das protokollarisch vierthöchste Amt im Staat nach dem Bundespräsidenten, dem Bundestagspräsidenten und dem Bundeskanzler ausfüllen darf, mag unter diesen Umständen als Ironie des Schicksals zu bewerten sein – auch deshalb, weil Ramelow nun selbst so etwas wie Außenpolitik betreiben darf. »Um zu einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen beizutragen«, wie es im Pressetext heißt, wird er als Bundesratschef nach Warschau und Paris reisen.
Zugleich zeigte diese Pressekonferenz: Die Linke ist, während sie in ihrer stark dezimierten Bundestagsfraktion sowie in den sozialen Netzwerken noch den Schuldigen für dieses Wahldebakel auszumachen sucht, auf Landesebene weiter gefragt. Nicht nur in Thüringen und Bremen, wo sie bereits (mit)regiert – auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Sozialdemokratin Manuela Schwesig als klare Wahlsiegerin sich den Koalitionspartner aussuchen darf und nach der CDU auch mit den Linken sondieren will, und in Berlin, wo die Linke trotz der eher konservativen SPD-Siegerin Franziska Giffey auf eine Fortsetzung des bisherigen Bündnisses mit Sozialdemokraten und Grünen hofft. Auch Ramelow zeigte sich am Mittwoch von seiner diplomatischen Seite und sendete ein paar nette Grüße aus Erfurt nach Schwerin. Schwesig habe »einen tollen Wahlkampf gemacht«. Er habe »überhaupt kein Problem damit, wenn die SPD zu alter Stärke zurückkehrt«. Die Schwäche der Linken sei »Thema meiner Partei, das haben wir selbst zu klären«.
Auch in Thüringen war ursprünglich am Sonntag eine Landtagswahl geplant. So hatte es die rot-rot-grüne Minderheitsregierung mit der stabilisierenden CDU nach dem komplizierten Ergebnis der Landtagswahl 2019 eigentlich vereinbart. Letztlich scheiterte die vorzeitige Auflösung des Parlaments jedoch, nachdem vier CDU-Abgeordnete ihre Zustimmung verweigert hatten. Fraglich ist, ob eine Landtagswahl zu diesem Zeitpunkt der Linken eher genützt oder geschadet hätte. Ramelow jedenfalls hätte »keine Angst« davor gehabt, wohl wissend, dass die Unterschiede zwischen den Linke-Ergebnissen auf Bundes- und Landesebene maßgeblich mit seiner Person zu tun haben. Was auch eines bedeutet: In Thüringen findet die Linke den Schuldigen sicher nicht. Ob von der Absage der Neuwahl letztlich die AfD profitierte, die im Freistaat – entgegen dem Bundestrend – hinzugewann und sich gerade im ländlichen Raum stabilisieren konnte? »Das ist mir zu eindimensional«, so Ramelow.
Welche politische Richtung seine Partei nun konkret einschlagen müsse und welche zu vermeiden sei, führte er am Mittwoch jedoch nicht weiter aus - anders als in einem Rundfunk-Interview direkt nach der Wahl: »Wir haben unsere Zielwählerschaft nicht direkt im Auge gehabt. Wir hätten deutlicher machen müssen, was wir aus dem Osten mit einbringen«, hatte er dem MDR gesagt und sogleich etwas angefügt, das parteiintern schon wieder für Gesprächsstoff sorgte: »Wir haben zu viel über Gendersternchen geredet und über Themen, die für unsere Wählerschaft von keiner großen Relevanz sind.« Ob auf diese Art und Weise ein »Zusammenwachsen« wirklich funktioniert? Die Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss kommentierte auf Twitter süffisant: »Daran lags glaub nicht, liebe*r Bodo.«
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