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Ins Gewissen geredet
Menschenrechtsorganisationen richten einen Appell für eine humane Asylpolitik an die Sondierenden
»Es geht jetzt um mehr als Flüchtlingsschutz«, sagte Burkhardt am Donnerstag auf Pressekonferenz, zu der seine Organisation gemeinsam mit Amnesty International eingeladen hatte. »Es geht um die Geltung der Menschenrechte in Deutschland und Europa.« Zudem müsse geklärt werden, »in welcher Gesellschaft wir leben wollen: In einer Gesellschaft, die geprägt ist von Offenheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Menschenrechten oder in einer, die auf Nationalismus, Ausgrenzung und Abschottung setzt?« Diese Frage müsse die neue Bundesregierung beantworten. Der Umgang mit Geflüchteten sei dabei ein »Lackmustest«. Man erwarte von Grünen, FDP und SPD, dass sie in einer künftigen Regierung »wirkungsvoll für Rechtsstaatlichkeit, die Geltung der Menschenrechte von Geflüchteten und das Recht auf Asyl in Europa eintreten«, so Burkhardt.
Auch Markus Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, forderte von allen Parteien, die nach Regierungsverantwortung streben, »ein klares, unmissverständliches Bekenntnis« zu den international verbrieften Menschenrechten von Schutzsuchenden: »Wer Menschenrechte für sich proklamiert, kann diese nicht immer wieder gerade den Opfern von Gewalt und Verfolgung absprechen.« Nötig sei eine Rückbesinnung auf die Humanität, die für alle Menschen gleichermaßen gelten müsse.
Die Anforderungen an die neue Bundesregierung in der Asylpolitik sind tatsächlich vielschichtig. Einerseits muss sie den Zusammenhalt in einer Einwanderungsgesellschaft stärken, andererseits wird Deutschland als Schwergewicht in der Europäischen Union eine gewichtige Rolle in einer von Krisen geprägten Weltpolitik spielen, in der Flucht und Vertreibung allgegenwärtig sind.
Auf die Erfüllung einer Aufgabe dürfe dabei nicht bis zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen gewartet werden, mahnen beide Organisationen: Die noch amtierende Bundesregierung müsse sich intensiv um die Aufnahme von Menschen aus Afghanistan bemühen, die nach der Rückkehr der Taliban besonders gefährdet sind.
Pro Asyl habe in den vergangenen Wochen unter Hochdruck daran gearbeitet, das Auswärtige Amt auf besonders dramatische Fälle von Afghanen aufmerksam zu machen, die dringend evakuiert werden müssten, erklärte Burkhardt. »Bei der Mehrzahl der Fälle hat das unseres Wissens nicht geklappt. Viele Frauen und Männer, die sich in den vergangenen 20 Jahren in Politik, Justiz und Zivilgesellschaft engagiert haben, harren noch immer in Todesangst dort aus.« In den beiden letzten Augustwochen habe Pro Asyl mehr als 2000 Hilferufe erhalten. Unter den Schutzsuchenden seien Frauenrechtlerinnen und Journalisten, ehemalige Mitarbeiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Familienangehörige von in Deutschland lebenden Afghanen. »Die Evakuierungen haben viel zu spät begonnen«, kritisierte Burkhardt.
Notwendig sei jetzt ein neues Aufnahmeprogramm des Bundes, um akut Gefährdete zu evakuieren. Darüber hinaus seien Landesaufnahmeprogramme für jene Afghanen nötig, die schon einen Bezug zu Deutschland haben, weil Angehörige von ihnen hier leben. Burkhardt kritisiert, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) »trotz der dramatischen Lage« noch immer keine Notwendigkeit für Aufnahmeprogramme sehe. Das sei eine erschreckende »Verkennung der Lage in Afghanistan«.
Die Bundesregierung habe sowohl bei der Aufnahme von Schutzbedürftigen aus Afghanistan als auch bei der Seenotrettung alle Versuche auf Landesebene und vonseiten der Zivilbevölkerung torpediert, mehr Schutzsuchende aufzunehmen, bemängelt Burkhardt und verlangt, die in den Jahren 2015 und 2016 praktizierte Willkommenskultur wiederzubeleben. »Insbesondere das Bundesinnenministerium darf unter neuer Leitung nicht weiter auf der Leitung stehen.«
Pro Asyl und Amnesty International fordern die Aussetzung von Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan. Außerdem brauche es eine europäische Seenotrettungsmission. Ihren Blick richten die Organisationen sowohl auf die EU-Außengrenzen, wo es immer wieder zu sogenannten Pushbacks, Misshandlungen und Gewalt gegenüber Schutzbedürftigen komme, als auch auf die Situation in den großen Aufnahmezentren, wo laut Pro Asyl derzeit 28 000 Menschen festsitzen.
Für die EU-Außengrenzen verlangen die beiden Organisationen unabhängige Beobachter, wo es unerlaubte Pushbacks, beschleunigte Asylverfahren sowie haftähnliche Unterbringungen gibt. Das »Totschweigen und Tolerieren der permanenten Rechtsbrüche«, welches das Agieren der amtierenden Regierung präge, müsse ein Ende haben, forderte Burkhardt. Verstöße müssten notfalls geahndet werden, ergänzte Beeko.
In Deutschland sollten die sogenannten Ankerzentren, die auf Druck der Unionsparteien im August 2018 eingeführt wurden, wieder abgeschafft werden, fordern die Organisation. Flüchtlingsinitiativen kritisieren schon lange, dass diese oftmals weit abgelegenen Massenunterkünfte geflüchtete Menschen systematisch von der Außenwelt abschneiden. Teilweise müssten die Menschen dort 18 Monate ausharren, beklagte Burkhardt. Die Zeit in der Erstaufnahme müsse wieder wie früher auf drei Monate beschränkt werden, damit Geflüchtete möglichst schnell selbstbestimmt wohnen und leben können. So werde Integration gefördert.
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