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Die Liegengebliebenen und die Außenseiter
Ohne Betroffenheit und Sensationalismus: In Bremen zeigt Miron Zownir Fotos aus London von 1978 bis 1980
Miron Zownir fotografiert die Liegengebliebenen und die Außenseiter. Nicht nur, es finden sich auch andere Motive in seinem Werk, aber es sind diese Bilder, die sich am unmittelbarsten einbrennen. Bekannt und berüchtigt wurde der 1953 in Karlsruhe geborene Fotograf und Filmemacher Ende der Neunzigerjahre mit dem Band »Radical Eye«, in dem Bilder zu sehen sind, die es mit Nachdruck auf die Verstörung des Betrachters anlegen: Sex auf dem Club-Klo, Fetisch-Ästhetik, Alkoholiker, die am Straßenrand liegen, einer mit aufgeschlagenem Gesicht, eine verwesende Leiche auf einem Moskauer Bürgersteig.
In der Bremer Galerie K’ sind noch bis zum 17. Oktober Fotografien zu sehen, die Miron Zownir zwischen 1978 und 1980 in London angefertigt hat. Das erstmalig gezeigte Frühwerk lässt deutlich werden, dass hier ein Künstler früh seine Bildsprache gefunden hat. Das kontrastreiche Schwarzweiß ist bereits ausgearbeitet. Es verleiht den Bildern eine Schwere und streicht die Spontanität, in der sie entstanden sind, gleichsam durch. Die Verbindung von Hell und Dunkel, die den Eindruck hier bestimmt, verstellt den Weg zu einer simplen sozialrealistischen Ästhetik. Es geht nicht darum, das Falsche anzuprangern, in dem man Elend zeigt. Was ihn an Menschen interessiert, hat Zownir vor fünf Jahren in einem Interview erzählt, sei »das Halbzerstörte und Verlassene, vielleicht das, was man heute ›überflüssig‹ nennen würde«. Eben jenes sei nämlich viel organischer und lebendiger.
Die Motive aus London sind weniger krass als die späteren. Es finden sich viele Straßenszenen, die Architektur, Mode und Habitus im urbanen England dokumentieren, kurz bevor Margaret Thatcher über das Land hereinbrach. Und die Halbzerstörten und Verlassenen springen einem hier noch nicht so buchstäblich mit dem nackten Arsch ins Gesicht wie in späteren Werkphasen (eine Ausnahme bildet das Bild einer Gruppe britischer Jungnazis, der eine mit heruntergelassener Hose, der andere mit »White Power«-Shirt). Man sieht einen Penner, der auf der Straße eingeschlafen ist, während im Bildhintergrund Passanten unscharf vorbeiflanieren, eine alte verwitterte Frau mit einer schwarzen Kapuze auf dem Kopf und Furchen im Gesicht, ein Mann mit nur noch einem Bein; aber auch kleinbürgerliche Ehepaare, Hippies im Park und Polizeieinsätze.
Die zahlreichen Aufnahmen von Schlafenden machen noch einmal deutlich, dass Miron Zownir die meisten der von ihm Fotografierten nicht um Erlaubnis gefragt haben wird. Gefragt hat er allerdings die, die sich vor seiner Kamera erkennbar selbst inszenieren. Der hübsche Punk zum Beispiel, der sein Sid-Vicious-Tattoo präsentiert. Oder der bereits erwähnte Nazi, der seinen Hintern für die Kamera hinhält.
Voyeurismus und Übergriffigkeit sind Teil dieser Bilder. In den London-Fotografien aber ist klarer noch zu sehen, was später ebenfalls noch präsent ist, aber durch die maximal krassen Motive in den Hintergrund rückt. Der Fluch jeder extremistischen Ästhetik, auch in der Straßenfotografie: Die komplexeren Töne werden allzu schnell verdeckt.
Es geht hier um das Aufzeichnen und Festhalten dessen, was geschieht und was in den etablierten Kanälen nicht erscheint, außer in Form der auf Betroffenheit oder Sensationalismus zielenden Reportage. Miron Zownirs in Moskau aufgenommene Bilder zum Beispiel können das Bild, das man sich vom Ende der Sowjetunion macht, verändern. Die Destruktivität der gesellschaftlichen Umwälzung hat sich hier direkt an den Körpern vollzogen.
Betroffenheit und erstaunlicherweise auch Sensationalismus sind weder Anliegen dieser Bilder, noch ihr Effekt. Beides würde eine Möglichkeit für Betrachterin und Betrachter bilden, sich über die Menschen, die hier zu sehen sind, zu erheben. Auf welche Weise genau es Zownir in seiner Fotografie gelingt, bei aller Übergriffigkeit nicht reißerisch zu sein, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht überträgt sich etwas vom authentischen Interesse des Fotografen an den Menschen, die er zeigt, auf das Bild selbst. Er hätte keinen Plan beim Fotografieren, hat Zownir betont, und würde sich nur von seinem Interesse leiten lassen.
Ein Prozess, während dem die Haltung des Aufzeichnenden eine Entsprechung findet in der Wirkung seiner Bilder, die die Menschen, die sie zeigen, eigentlich vorführen müssten, aber genau das nicht tun. Sondern sie im Gegenteil weder größer noch kleiner machen, und einfach: zeigen. Und uns damit auffordern, das Abgebildete zur Kenntnis zu nehmen. Das gilt auch für die London-Fotografien. Bei der Entscheidung, was man dann mit den Bildern macht, geben auch diese Arbeiten Zownirs glücklicherweise wenig vor.
Bis 17.Oktober. Galerie K’ Alexanderstraße 9b, Bremen, Mittwoch bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag 12 bis 16 Uhr.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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