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Fahrplan für neue Verkehrspolitik
Verbändebündnis Allianz pro Schiene verlangt von der künftigen Bundesregierung Priorität für die Bahnen
Die Zeit kurz vor und kurz nach wichtigen Wahlen ist immer auch die Stunde der Lobbyverbände, die der künftigen Regierung ins Stammbuch zu schreiben versuchen, was jetzt anzupacken ist. Das meiste verhallt ungehört, aber manches wird zumindest zur Kenntnis genommen. Entweder wegen guter Kontakte oder weil die Zeit dafür günstig ist.
Auf letzteres setzt die Allianz pro Schiene, ein Bündnis aus Branchenunternehmen, Gewerkschaften, Fahrgastinitiativen und Umweltverbänden. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die klimafreundliche Bahn in der künftigen Verkehrspolitik stärker gefördert wird als bisher. »Wir hoffen, dass die Schiene Verkehrsträger Nummer eins in Deutschland wird, egal wie die nächste Koalition aussieht«, sagt Martin Burkert, Vorstandsvorsitzender der Allianz pro Schiene und Vizechef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Die Klimaziele seien nämlich nur erreichbar mit einem Ausbau der Schiene. Zumindest bei den Grünen, die längst auf den Chefposten im Verkehrsministerium der kommenden Bundesregierung schielen, dürfte die Allianz offene Türen einrennen.
Nach langen, vergeudeten Jahren einer Politik unter CSU-Ägide steht der Verkehrssektor schlecht da. Es ist der einzige Bereich, der bisher nichts zum Erreichen der Klimaziele beigetragen hat. Der Treibhausgasausstoß des Verkehrs in Deutschland liegt etwa auf dem Niveau von 1990, während der CO2-Ausstoß in den drei Jahrzehnten um gut 40 Prozent gesunken ist. Dadurch ist der Verkehrsanteil am Gesamtausstoß auf ein Fünftel gestiegen und liegt auf dem Niveau der gesamten Industrie (ohne Energiewirtschaft).
Das Umweltbundesamt (UBA) hat sich vor wenigen Monaten den Sektor genauer angeschaut und den Übeltäter ausgemacht: der Straßenverkehr. Zwar sind die Fahrzeuge heute emissionsärmer als in den 1990er Jahren, doch »das Mehr an Verkehr hebt die bislang erreichten Verbesserungen im Klima- und Umweltschutz zum Teil wieder auf«, wie das UBA erläutert. Im Untersuchungszeitraum 1995 bis 2019 stieg der CO2-Ausstoß des Pkw-Verkehrs um fünf Prozent, bei Lkw sogar um 32,3 Prozent. Gerade der Güterverkehr auf der Straße hat massiv zugenommen - von 279,7 Milliarden auf 498,6 Milliarden Tonnenkilometer, ein satter Anstieg um mehr als drei Viertel. Klar ist, dass es gerade hier um Verlagerung auf die Schiene gehen muss, etwa mittels des kombinierten Lkw-Bahn-Verkehrs, wie er derzeit in Frankreich ausgebaut wird.
Auf nichts weniger als einen »Bruch mit jahrzehntelangen Traditionen« - mehr Autobahnen, kleineres Schienennetz - setzt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. Dafür brauche es konkrete Marktanteilsziele: Beim Personenverkehr sollte der Bahnanteil von 10,8 auf 15 Prozent Ende des Jahrzehnts erhöht werden, beim Gütertransport von 25 auf 30 Prozent.
Die Allianz pro Schiene sieht den Hauptgrund in der verfehlten Verkehrspolitik: »Die alte Bundesregierung war zwar schienenfreundlich und hat mit dem ›Masterplan Schienenverkehr‹ die Aufgaben für dieses Jahrzehnt klar beschrieben«, so Dirk Flege. Der Fehler sei aber gewesen, dass mit viel Energie und Geld die Nachfrage nach allen Verkehrsträgern stimuliert wurde. So wurde zuletzt mehr in die Schiene und in Radwege investiert, aber eben auch in den weiteren Ausbau der Fernstraßen.
Was nun anders gemacht werden soll, hat das Verbändebündnis in einem »Fahrplan Zukunft« mit 19 Handlungsanforderungen zusammengefasst. Zunächst geht es, wie könnte es anders sein, um mehr Geld: Die jährlichen Mittel des Bundes für Neu- und Ausbau sollten bis zur Mitte der Legislaturperiode auf drei Milliarden Euro verdoppelt und ab Mitte des Jahrzehnts auch wegen der derzeit rapiden Baupreissteigerungen auf vier Milliarden weiter angehoben werden. Ferner sollten umweltschädliche Subventionen etwa bei der Diesel- und Kerosinbesteuerung abgebaut und im Gegenzug die Bahnen von der Stromsteuer und der EEG-Umlage befreit werden. Wenn es um Geld geht, geht es indes auch um Grundsätzliches: So sagt EVG-Gewerkschafter Burkert wohl mit Blick auf die Steuervorstellungen der künftig wohl mitregierenden FDP, »rote Linien bei den Einnahmen halten wir für schwierig«.
Ebenfalls zum Fahrplan gehört eine bessere Umsetzung des im »Masterplan« der Bundesregierung geplanten Deutschlandtakts, den die Allianz als »Schlüssel« für die erhoffte Verdoppelung der Fahrgastzahlen ansieht. Das Konzept sieht eine bessere Verzahnung des Personennah- und -fernverkehrs auf der Schiene vor, um auf wichtigen Strecken deutschlandweit einen Halbstundentakt anbieten zu können. Auch hier braucht es Geld für Neubaustrecken und andere Infrastrukturmaßnahmen. Die Allianz verlangt zudem klar definierte Umsetzungsetappen.
Unternehmen hoffen derweil auf einen Konjunkturschub für die gesamte Branche. Manfred Fuhg, Vizevorsitzender der Allianz pro Schiene und gleichzeitig Manager bei der Siemens Mobility GmbH, die Bahninfrastruktur errichtet und auch Züge baut, freut sich schon auf technische Neuerungen: die Elektrifizierung von Bahnstrecken, Loks mit Batterie- und Wasserstoffantrieb, Digitalisierung von Stellwerken, zudem die Digitale Automatische Kupplung und die Einführung des einheitlichen EU-Zugsicherungssystems ETCS. Der Unternehmensvertreter fordert für die Allianz pro Schiene zudem eine finanzielle Förderung des Bundes für die Fahrzeughersteller sowie beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Doch dem Bündnis geht es auch um Grundsätzliches: Es habe bisher »keine ressortübergreifende, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Gesamtpolitik« gegeben. »Wir brauchen daher eine radikale Wende in der Verkehrspolitik«, sagt Flege, um es dann noch mal so zu verpacken, wie es mit Blick auf die künftige Koalition erfolgsversprechender erscheint: »Wir brauchen einen Aufbruch.«
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