Um die leere Mitte dreht sich alles

Eine Form der Desillusionsromantik: »Leben ist ein unregelmäßiges Verb«, ein Roman von Rolf Lappert

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieser Roman von Rolf Lappert ist ein merkwürdiges, irritierendes und zugleich erratisch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur dastehendes Buch. Der Schweizer Lappert, der längere Zeit als Drehbuchautor gearbeitet hat und 2008 den Schweizer Buchpreis 2008 erhielt, hat es nach jahrelanger Schreibarbeit vorgelegt. Ein dicker Brocken mit fast 1000 Seiten, erinnert das Buch vom Volumen her an US-amerikanische Zeit- und Gesellschaftsromane. Doch vom Stil her ist es zumeist im ruhigen Duktus eines Adalbert Stifter gehalten, wie er auch anderen Schweizer Autoren eigen ist, etwa Christian Haller oder Silvio Blatter.

Worum es geht? Um die überaus verschieden verlaufenden Biografien von vier Kindern, die in einer Landkommune in den 70ern ihre ersten Lebensjahre verbringen. Nachdem die Kommune von den Behörden aufgelöst worden ist, werden sie in alle Winde verstreut und bei Verwandten oder Adoptiveltern groß. Es wird viel an ihnen herumgezerrt und erzogen, und als sie denken, dass sie endlich ihre Ruhe haben, werden sie erneut in die Öffentlichkeit gestoßen.

Ihre Geschichte kocht abermals in der Presse hoch, weil ein ebenso findiger wie windiger Theaterregisseur ein auf dem Hof der Kommune verstecktes Tagebuch gefunden hat und dies mit Hilfe eines ehemaligen Kindes, Leander, der auf dem Cover als Autor firmiert, bestens als Geschichte vermarkten kann.

Im Grunde genommen aber – wiewohl alle vier in den unterschiedlichsten Regionen und Milieus der Republik leben und eigenartigerweise nur selten den Wunsch verspüren, sich wiederzusehen – handelt es sich bei dieser Geschichte um die Bilanzierung von Verlusten: Alle sind irgendwie ge- oder vielmehr verstört, ohne dass Lappert dafür (und das mag man durchaus wohlwollend empfinden) Erklärungen oder Deutungen angibt, die auf das frühere Leben in der Landkommune zurückweisen – auch wenn das die Regenbogenpresse immer wieder gerne kolportiert.

Nein, Lappert konstruiert seine Geschichte in riesigen Prosamäandern, in denen zugleich oftmals noch die Biografien der verschiedenen Bezugspersonen der Jugendlichen miterzählt werden und – in der Gegenwart angekommen – schließlich noch eine weitere entscheidende Protagonistin auf den Plan tritt: Ada, die Tochter Fridas, von der am Ende angedeutet wird, dass sie möglicherweise gar diese ganze Geschichte zum Roman verarbeitet. »Die Ankunft in der Einöde«, heißt es da auf der vorletzten Seite, »die sie gerade verließ, könnte der Anfang ihres Romans sein, die Ankunft heute Nachmittag und all das Seltsame, das folgte, bis jetzt, hier im Auto auf diesem Feldweg, der im matten Licht vor ihr sichtbar wurde, Meter für Meter. Oder sie könnte mit ihrer Kindheit beginnen, Indien und Den Haag, alles im trügerischen Licht der Erinnerung, um von sich selbst auf Frida zu kommen, einen Kreis zu schließen.«

Aber einen Kreis worum? Um eine leere Mitte, die im Titel des Romans bestens erfasst ist: die Leere der Existenz, die vergebliche Suche nach dem Sinn (jedweder Art), die Einsamkeit der Menschen, die alle – jeder auf seine eigene, eigentümliche Weise – verwundet oder gar krank sind, wie Leander, von dem erst auf den letzten Seiten verraten wird, dass er unter dem Asperger-Syndrom leidet.

Vielleicht hat Rolf Lappert einen modernen Entwicklungsroman geschrieben, der sich in die Tradition dessen stellt, was der junge Georg Lukács in seiner »Theorie des Romans« (1916) als »Desillusionsromantik« charakterisiert hat: Biografien vereinsamter (bürgerlicher) Individuen auf der vergeblichen Suche nach ihrer Bestimmung.

Rolf Lappert: Leben ist ein unregelmäßiges Verb. Hanser, 992 S., geb., 32 €.

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