»Die Bewegung geht von dem Prinzip der Selbstermächtigung aus«

Die Journalistin Heike Kleffner über die Gefahren der Pandemieleugner*innen-Bewegung und ihre Buch »Fehlender Mindestabstand«

  • Mischa Pfisterer
  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin war in der Vergangenheit immer wieder die Bühne für rechtsoffene Pandemieleugner*innen und -verharmloser*innen. Und spätestens seit dem Mord an dem jungen Tankstellen-Angestellten in Idar-Oberstein müsste auch dem Letzten ein Licht aufgehen, mit was für einer gefährlichen Bewegung wir es zu tun haben. Die Berliner Journalisten Heike Kleffner und Matthias Meisner haben mit »Fehlender Mindestabstand - Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeind« im Frühsommer ein wichtiges Buch zu diesem Thema herausgegeben. Mehr als 40 Expert*innen haben sich an dem Sammelband beteiligt.

Sie beschäftigen sich ja schon lange mit demokratiefeindlichen und rechtsoffenen Bewegungen. Hätten Sie es vor der Pandemie für möglich gehalten, dass sich hier so ein Netzwerk mit dieser Radikalisierungsdynamik auf der Straße und im Netz bildet?

Zur Person

Heike Kleffner ist freie Journalistin und Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Seit den 1990er Jahren hat sie zahlreiche Publikationen über Rechtsextremismus herausgegeben. Zusammen mit Matthias Meisner hat sie die Bücher „Unter Sachsen, zwischen Wut und Willkommen“ und „Extreme Sicherheit“ herausgegeben. Über Radikalisierungsdynamiken und Gefahren der Leugner- und Verharmloser-Bewegung hat Mischa Pfisterer mit ihr gesprochen.

Es gehören nicht so viele prophetische Gaben dazu, um nach der Welle rassistischer Gewalt 2015/2016 zu sehen, dass das Potenzial für gesamtdeutsche rechte Bewegungen auf jeden Fall da war. Ein zentraler Punkt an dieser Bewegung der Pandemieleugner*innen und -verharmloser*innen ist nicht nur, dass sie Antisemitismus als DAS Ideologieelement verbindet, sondern eben auch eine sehr offene Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats und seiner Institutionen. Und dass das Prinzip von Solidarität und solidarischer Verantwortung zur Rücksichtnahme, auf dem nun mal gesellschaftliches Zusammenleben basiert, bei weitem leider nicht von allen geteilt wird, die hier leben.

Wo sehen Sie die Bewegung heute? Bleibt nur noch ein zunehmend radikalisierter Kern?

Dass diejenigen, die da 2020 zu Zehntausenden auf der Straße waren, aber auch all diejenigen, die im Netz Verschwörungsnarrative und antisemitische Lügen über die Pharmaindustrie oder über die Herstellung von Impfstoffen konsumiert haben und das auch offen vertreten, dass all diese Menschen sich jetzt nicht mit dem sichtbaren Teil der Bewegung radikalisiert haben: Das ist eine Illusion, der wir uns wirklich nicht hingeben dürfen. Wir sehen das auch an dem Mord an dem jungen Mann im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein durch einen offensichtlichen Maskenverweigerer und Pandemieleugner. Die Bewegung geht von dem Prinzip der Selbstermächtigung aus und pflegt ein Widerstandsnarrativ, in dem die Legitimation von Gewalt schon mitangelegt ist.

Schon lange vor dem Mord an dem jungen Tankstellenverkäufer Alexander W. gab es Berichte von Mitarbeitenden beispielsweise in Test- und Impfzentren über Bedrohungen und Gewalttaten bis hin zu schweren Körperverletzungen und gezielten Sachbeschädigungen. Im Ruhrgebiet gab es Aktionen, wo Reifen aufgestochen wurden oder Radmuttern gelockert wurden. In Bayern und Sachsen gab es Brandanschläge auf Testzentren und Impfbusse. Insbesondere in ländlichen Regionen sind Ärzt*innen und Gesundheitspersonal, die impfen, massiven Drohkampagnen ausgesetzt. Außerhalb dieser Regionen bekommt man Nachrichten darüber meist nur über die sozialen Netzwerke mit.

Letztendlich ist es wie immer bei rechtem Terror: Den Worten folgen Taten. Schon vor dem Mord an Alexander W. war allen klar, die diese Gewalt und diesen Hass der Coronaleugner*innen auf ihren Arbeitsstellen oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln erlebt haben, dass es gar keine Hemmschwellen mehr gibt.

Hat die Gesellschaft zu lange gebraucht, um die Gefahr, die von dieser Szene ausgeht, richtig einzuschätzen?

Es war ja von Anfang eine Bewegung, die Milieus, die vorher öffentlich nicht zusammen sichtbar waren, genau dahin gebracht hat: zusammen auf die Straße. Also orthodoxe Teile der Friedensbewegung, Anhänger*innen diverser esoterischer Richtungen, Anthroposophie-Anhänger*innen ebenso wie offene Neonazis, organisierte Antisemiten und Reichsbürger. In dieser Art als Straßenmobilisierung war das etwas Neues.

War das der Dammbruch?

Wenn man gegen staatliche Pandemiemaßnahmen ohne Neonazis hätte demonstrieren wollen, hätte man diese zu Beginn der Demonstrationen vor der Volksbühne in Berlin klar und unmissverständlich ausschließen müssen. Dann hätte man sich mit den Pandemieverharmlosern und Leugner*innen zwar immer noch über den unglaublich unsolidarischen Ansatz und die Leugnung von evidenzbasierter Medizin streiten müssen. Aber der Ausschluss wäre ein klares Signal gewesen.

Stattdessen waren Neonazis von Anfang Teil dieser Bewegung, war der Antisemitismus von Anfang an auch öffentlich. Und von Anfang an wurden Virolog*innnen, Politiker*innen, Gesundheitspersonal mit Morddrohungen, Schuldzuweisungen in den Fokus persönlicher Gewaltandrohung gestellt, wurden Menschen quasi stellvertretend für ganze Berufsgruppen zum Abschuss freigegeben. Und immer wieder gibt es den Verweis auf den so genannten »Tag X« und darauf, den Widerstand selbst in die Hand zu nehmen. Damit sind die wesentlichen Voraussetzungen für eine neue Welle rechter Gewalt und rechten Terrors geschaffen worden.

Was hat Sie beide dazu bewegt, das Buch herauszugeben?

Es gab eine Reihe von Beweggründen für diesen Sammelband. Die Frage, welche Entstehungsbedingungen es gibt für eine Normalisierung von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus und neuen Rechtsterrorismus, beschäftigt uns seit unserem ersten gemeinsamen Buchprojekt »Unter Sachsen«. Journalist*innen in der Pandemie wurden mehrfach herausgefordert. Etwa durch die Anforderung, eine Pandemie und Maßnahmen zu erklären, die sich ja teilweise täglich veränderte, und darauf zu achten, dass es kein »false-balance« gibt in der Berichterstattung: Im Sommer 2020 drohte das wirklich zu kippen – die Leugner*innenbewegung und ihre als »Fragen« getarnten Falschinformationen bekamen sehr viel Raum und Platz in der Berichterstattung.

Was meinen Sie genau?

Die Leugner*innenbewegung hat auf einmal den Diskurs bestimmt. Viele andere Fragen an das Pandemiemanagement und an die Bedingungen im Gesundheitswesen sind dabei hinten rüber gefallen. Das ist bis heute etwas für mich, das in der Medienberichterstattung nicht gut läuft. Der Impfnationalismus und die Weigerung die Patente freizugeben werden ebenso wie das Prinzip »Profite vor Gesundheit« nicht hinterfragt. Die Proteste der Gesundheitsarbeiter*innen und insbesondere jetzt der Streikenden bei Charité und Vivantes haben nicht mal eine bundesweite Berichterstattung ausgelöst. Das finde ich skandalös.

Für die Berlinpremiere mit Matthias Meisner heute Abend gibt es noch Restplätze. Anmeldung ist hier möglich.

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