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Das geht uns alle an
Wir sollten die Pressefreiheit nicht für selbstverständlich nehmen. Auch in Deutschland geraten Medienschaffende zunehmend unter Druck
Die ganze Redaktion jubelte: Als bekannt wurde, dass die philippinische Journalistin Maria Ressa den Friedensnobelpreis verliehen bekommt, fielen sich ihre Kolleg*innen von »Rappler« in die Arme. Dieses Online-Nachrichtenportal, von Ressa geleitet, publiziert besten Investigativjournalismus, über Korruption oder den angeblichen Drogenkrieg von Präsident Duterte. »Rappler« ist ein hart umkämpftes Bollwerk für die freie Presse in den Philippinen. Auf Betreiben der Regierung saß Maria Ressa schon öfters in Haft; zur Zeit laufen sechs Anklagen gegen sie.
Dass dieses Jahr zwei Journalisten mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden – Maria Ressa und Dmitri Muratow aus Russland – ist ein wichtiges Zeichen, sowohl an Diktatoren wie auch an Medienschaffende: Wir beobachten euch. Die Welt ist aufmerksam, wenn Journalist*innen in ihrer Arbeit behindert, inhaftiert oder sogar getötet werden.
Die weltweite Lage für Medien sieht nicht besonders gut aus: Laut der Organisation »Reporter ohne Grenzen« (RFS) wurden 2021 bereits 23 Journalist*innen getötet, drei davon allein in Mexiko. Insgesamt sitzen 348 Journalist*innen und 98 Blogger*innen in Haft.
Dies ist jedoch nicht nur ein Problem von weit entfernten Krisenländern. In der RSF-Rangliste für Pressefreiheit ist Deutschland im Vergleich zum Vorjahr von Rang 11 auf Rang 13 gerutscht, nur noch »zufriedenstellend«, aber nicht mehr »gut«. Mit unserer Pressefreiheit sieht es somit schlechter aus als in Jamaika oder Costa Rica. Italien steht noch ein ganzes Stück weiter unten auf der Liste, nach Burkina Faso und Botswana. Der EU-Staat Ungarn ist auf Platz 92 gefallen.
Dies sollten wir nicht als nebensächlich abtun. Es ist nicht so, dass in Europa oder in Deutschland alle Medienschaffenden ungehindert ihrer Arbeit nachgehen können. Auf Querdenker-Demonstrationen werden Journalist*innen oft angegriffen, ebenso von Neonazis. »Reporter ohne Grenzen« attestiert Deutschland ein zunehmend »medienfeindliches Klima«.
»Europa nimmt keine gute Entwicklung« - Lutz Kinkel zu Angriffen autokratischer Staatschefs auf die Pressefreiheit und die Reaktion der EU
Dies hängt damit zusammen, dass rechte Positionen schon seit langem auch in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft salonfähig geworden sind. Vom Feuilleton geadelten Rassismus gibt es seit Thilo Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab«, also seit rund zehn Jahren. Rassistische und islamfeindliche Positionen finden sich in der Regel zusammen mit einer frauenfeindlichen Haltung – und auch mit Misstrauen gegenüber den Medien.
Um das Vertrauen in die Presse zu unterminieren, behaupten rechte Politiker*innen gerne, dass deutsche Medien von Linken und Grünen unterwandert seien, insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender. Die AfD fährt seit längerem eine Hetzkampagne gegen die ARD, gegen die sogenannten »Zwangsgebühren« der öffentlich-rechtlichen Medien sowie ihre angebliche Linkslastigkeit.
Die gleiche Argumentation hört man jedoch auch in der bürgerlichen Mitte – oder wo man früher die Mitte vermutet hätte. So etwa beklagte die frühere Bundesministerin für Familie, Kristina Schröder (CDU), vor kurzem mangelnde Meinungsvielfalt und behauptete auf Social Media tatsächlich, dass die »kulturellen Produktionsmittel in Deutschland weitgehend in linken und identitätspolitischen Händen« lägen. Damit befeuert sie das Narrativ der Rechtsextremen, die ein Interesse daran haben, unabhängige Medien zu diskreditieren. Bezeichnungen wie »Systemjournalisten« und »Lügenpresse« stammen eigentlich aus der Nazizeit – aber sie sind wieder gang und gäbe. Das ist ein Problem für uns alle.
In diesem Zusammenhang sei an den ersten Journalisten erinnert, dem der Friedensnobelpreis verliehen wurde: Carl von Ossietzky. Er verfolgte kritisch den Niedergang der Weimarer Republik und den Aufstieg der Nazis; sie schmähten ihn als Vertreter der »Lügenpresse«. Nach der Machtergreifung der NSDAP wurde er inhaftiert und 1936 – in Gestapo-Haft – mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Doch dies konnte ihn nicht mehr retten.
Auch die diesjährigen Friedensnobelpreisträger riskieren viel für ihre journalistische Arbeit. Wir in Deutschland sollten jedoch ebenfalls aufpassen, dass uns die Pressefreiheit nicht unbemerkt wegbröckelt.
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