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  • Digitalisierung und soziale Medien

Ein weltweites Sozialexperiment

Nachdenken über das digitale Zeitalter (1): Wer hat eigentlich den Witz gehört?

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.

Derzeit findet ein Generationswechsel in vielen Bereichen der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens statt, dessen Ausmaße nur langsam und meist in exemplarischen Einzelfällen deutlich werden. Die erste komplett digital aufgewachsene Generation wächst ins Berufsleben und in die Politik. Und damit gewinnt die fundamentale Umwälzung durch den Charakter und die Nutzung der sogenannten sozialen Medien auf einmal eine völlig neue soziale Fallhöhe. Durch fundamentales Unverständnis - in allen Altersgruppen - von Funktion und Wirkung von Twitter, Facebook und Co., gerade über lange Zeit, sind weitere Eskalationen, wie im Fall von Tweets der Grüne-Jugend-Sprecherin, gewiss

»Das Internet vergisst nichts« und »Pass auf, was du postest« - diese Mahnungen und Warnungen sind nicht neu. Meist galten sie zum Beispiel Fotos, die in anderen Kontexten deplatziert wirken oder negativ aufgefasst werden können. Ein Klassiker hierbei ist das Partyfoto, das der Chef nicht sehen sollte. Wie es mit Klassikern aber nun einmal ist, hat er einerseits bis heute eine gewisse Gültigkeit, andererseits ist er völlig überholt. Zum einen setzt das Beispiel eine relativ strikte Trennung des privaten und öffentlichen Lebens voraus und basiert auf der Annahme, dass Vermischung von beiden problematisch ist oder zumindest sein kann. Zum Zweiten unterscheidet sich der Charakter dessen, was da eigentlich gepostet wird, zwischen den Generationen deutlich. Für Menschen, die vor dem digitalen Zeitalter geprägt wurden, stellt die Internetsphäre eine Erweiterung von Darstellungsmöglichkeiten ihrer selbst dar, also hauptsächlich eine zusätzliche Bühne. Deshalb ist die Fallhöhe beim Beispiel »Partyfoto« auch so hoch: Der Chef sieht nicht nur, wie man im Privaten »ist«, sondern außerdem, dass man diese Charakteristik, die man in der beruflichen Sphäre als negativ bewertet, auch noch als positiv ausstellenswert erachtet - sonst hätte man das ja nicht gepostet.

Die digital aufgewachsene Generation »ist« dagegen vielmehr das, was sie postet. Die Trennung zwischen privat und öffentlich verwischt zusehends, zumindest scheinbar: Heute postet der Chef das Partyfoto des Teams gleich selber. Natürlich fällt dabei kaum jemand aus der Rolle - aber »authentisch« sollte man sich schon nicht nur geben, sondern sein.

Ein Teil der Irritation zwischen den Generationen rührt auch daher: Prädigital geprägte Menschen sind sich ihrer digitalen Umwelt stärker bewusst, weil diese nicht immer schon da war und so eben nicht »natürlich« erscheint. Das ist weder besser noch schlechter als bei digital geprägten Menschen, aber eben anders. Ein Bild mag das verdeutlichen: Ein Muttersprachler wird meist viel schneller mit der Antwort sein, vielleicht auch schlagfertiger, auf jeden Fall aber oft gedankenloser - jener, der die Sprache als Fremdsprache gelernt hat, braucht länger und es holpert, aber er ist sich teils auch eher bewusst, was manche Wörter genau bedeuten, weil er diese mühsam lernen musste.

Nun bewegen sich die digital Geprägten wie Fische im Wasser, während die Prädigitalen wie Taucher vielleicht zumindest ab und an über den Charakter des Wassers nachdenken. Und jetzt kommt das nächste Problem dazu - beide haben nicht den Hauch einer Ahnung, in welcher Sphäre sie sich da bewegen, was das für Auswirkungen haben wird. Im Grunde findet derzeit ein weltweites Sozialexperiment statt.

Eine Versuchsanordnung sieht wie folgt aus: Sie erzählen (posten) einen Witz. Drei Leute lachen (sprich: »liken« Ihren Post). Sie wissen aber nicht, wie viele Menschen den Witz überhaupt gehört haben: Lachen drei von dreien, war er wahrscheinlich gut; lachen drei von 1000, war er wohl nicht so gut. Sie wissen aber nur, dass drei darauf regiert haben. Das löst allerdings ähnliche biochemische Reaktionen aus, als wenn drei Menschen wirklich in Ihrer Gegenwart gelacht hätten und auch das gesamte Publikum waren. Menschen brauchen Resonanz und leben davon, also erzählen Sie einen ähnlichen Witz, nur mit schärferer Pointe. Diesmal lachen (liken) acht Menschen. (Menschen? Bots? Egal, es fühlt sich an, als wären es Menschen, das zählt!) Sie wissen wieder nicht, wie viele Menschen den Witz gehört haben, vielleicht waren es diesmal 100 000, und Sie würden sich ob der Resonanz »in echt« in Grund und Boden schämen. Stattdessen freuen Sie sich, weil es acht Reaktionen waren (die nur Sie positiv werten), und das sind mehr als drei. Und Sie machen so weiter.

Dazu nehme man das Interesse der Unternehmen hinter den Plattformen, auf und mit denen die Menschen agieren und interagieren, als wären es Tagebuch, Tresen, beste Freunde und Familie zugleich. Menschen »sind« dort permanent, ihre Biochemie wird ständig getriggert wie durch Drogen oder Glücksspiel. Alle Äußerungen dort sind gespeichert, editierbar, zitierbar, potenziell für immer - und man ist gleichzeitig willkürlichem Wohl und Wehe eines Unternehmens ausgeliefert, auf diese auch nur zugreifen zu können und dürfen. Was das psychisch sowohl mit den ersten digital Geprägten, den letzten prädigital Geprägten und vor allem mit der Gesellschaft macht, die sie sind und in der sie leben, ist noch gar nicht absehbar.

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