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Die neue Mangelwirtschaft
Rohstoffe und fossile Energieträger sind knapp und teuer geworden. Ein Weckruf, der Konsequenzen fordert, meint Manfred Kriener
EU-Energiekommissar Kadri Simson nennt es einen »Preisschock«. Man könnte auch ohne Übertreibung von einer Energiekrise sprechen. Die Preise für alle fossilen Energieträger - Gas, Kohle und Öl - sind heftig gestiegen und haben auch den Strompreis mitgerissen. Die Rallye des Gaspreises hat zuletzt zu Spitzenwerten bis zu 100 Euro an der Terminbörse geführt - eine Verfünffachung gegenüber den 20 Euro, die im März je Megawattstunde bezahlt worden waren. Der Ölpreis hat sich gegenüber Ende Oktober 2020 glatt verdoppelt. Bei der Steinkohle sehen wir dramatische Versorgungsengpässe in China, während in Europa die Kohleverstromung immer teurer wird.
Jetzt wird verschärft nach Ursachen gesucht. Der eiskalte Januar in China, Japan und Korea, danach der langanhaltende Wintersturm in den USA und im Sommer ungewöhnliche Hitzeperioden, die den Stromverbrauch durch die energieaufwändige Kühlung nach oben trieben. Beim Gas ist zudem eine neue Marktdynamik entstanden. Neben den vor allem aus Russland kommenden leitungsgebundenen und vertraglich gut abgesicherten Lieferungen sind die Flüssiggasimporte als zweites Standbein unkalkulierbar geworden. Die Schiffe mit ihrer wertvollen Ladung fahren dorthin, wo am meisten bezahlt wird. Das treibt den Preis. In China haben die Einfuhren von Flüssiggas einen absoluten Höchststand erreicht. Verknappungen und Preisexplosionen beobachten wir auch außerhalb des Energiemarkts.
Die Halbleiterkrise lähmt seit Monaten die Automobilindustrie. Die Produktion wird runtergefahren, Notstand statt Chip, Chip, hurra. Auf dem Bau fehlen Stahl, Holz und Kupfer, wobei vor allem der Kupferpreis kräftig angezogen hat. Die zunehmende Elektrifizierung, der Boom der Elektroautos und der Ausbau der Erneuerbaren Energien treiben den Kupferpreis und -verbrauch. Auch die Notierungen für das Alkalimetall Lithium, die Schlüsselsubstanz der Batterieherstellung, kennen derzeit nur eine Richtung: stramm nach oben.
Sichtbar wird die extreme Anfälligkeit eines ressourcenfressenden Systems der Unersättlichkeit. Sichtbar wird eine neue Engpass-Wirtschaft, die neben spezifischen Marktentwicklungen vor allem die Corona-Pandemie als Erklärung für teure und knapp gewordene Rohstoffe heranzieht: Infizierte Lieferketten seien zusammengebrochen, die punktgenaue Just-in-time-Logistik der globalen Versorgungsnetze funktioniere nicht mehr, das Virus habe die Synchronisierung von Produktion und Rohstoff-Anlieferung platzen lassen. Selbst die Container reichen nicht mehr aus.
Alle aufgeführten Ursachen erscheinen nachvollziehbar. Aber es fehlt ein zentraler Grund für die Energie- und Rohstoffkrise, der nie ausgesprochen wird: Die Knappheit ist die Schwester der Endlichkeit. Hinter Preisexplosionen und Versorgungsengpässen tritt die Perspektive der Endlichkeit hervor. Denn Ressourcen und Rohstoffe sind unbestreitbar begrenzt. Die Steigerungslogik, die das wirtschaftliche Denken als zentrales Mantra beherrscht, stößt bei vielen Metallen und noch stärker bei den fossilen Energieträgern - nicht nur aus Klimagründen - an deutliche Grenzen. Womöglich können wir diese Grenzen nur erkennen, wenn wir schmerzhaft dagegen stoßen.
Immer höhere Verbräuche sind irgendwann nur mit kapitalen Preisaufschlägen oder gar nicht mehr zu decken. Die globale Ölproduktion etwa konnte in den vergangenen Jahren nur noch durch die jetzt heftig kriselnde Fracking-Industrie in den USA aufrechterhalten werden. Vor dem Ausbruch der Coronapandemie war der tägliche Ölverbrauch auf 100 Millionen Barrel gestiegen. Ein Güterzug voll Öl, der von Sizilien bis zum Nordkap reicht. An jedem Tag. Weitere Produktionssteigerungen sind in den nächsten Jahren nicht mehr möglich. Selbst die notorisch optimistische Internationale Energie-Agentur warnt vor einem Öl-Versorgungsschock.
So erscheint die aktuelle Krise als multipler Weckruf. Die maßlose Ressourcenplünderung stößt bei vielen Metallen und bei allen fossilen Energieträgern zunehmend an Grenzen. Jetzt sind planetenverträgliche Konzepte gefragt. Das heißt vor allem: die konsequente Orientierung auf den schnellen Ausstieg bei Kohle, Öl und Gas.
Manfred Kriener ist Journalist und Autor. Sein Schwerpunktthema ist Umweltpolitik.
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