Legal, illegal, scheißegal

Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas wegen Kündigungswelle weiter unter Druck

  • Jan Ole Arps
  • Lesedauer: 4 Min.

Muhammad Umar Farooq ist Ende 20 und arbeitet als Fahrradkurier beim Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas in Berlin. Er gehört zu einer Gruppe von Fahrer*innen, die bessere Arbeitsbedingungen fordern und sich für einen Betriebsrat einsetzen. Wie berichtet, hatten Anfang Oktober Gorillas-Mitarbeiter*innen in drei Berliner Lieferzentren die Arbeit niedergelegt. Ihr Ziel: Verhandlungen über mehr Arbeitsschutz, pünktliche Lohnzahlungen und verbesserten Kündigungsschutz.

Am vergangenen Mittwoch ruft schließlich eine unbekannte Nummer bei Farooq an. Zu diesem Zeitpunkt ist er auf einer Kundgebung vor dem Berliner Gorillas-Hauptquartier in Prenzlauer Berg. 150 Fahrer*innen und ihre Unterstützer*innen protestieren hier, weil am Vortag einer noch unbekannten Zahl von Mitarbeiter*innen gekündigt wurde - mit der Begründung, sie hätten sich an »wilden« und somit illegalen Streiks beteiligt. Die Protestierenden sind wütend, schlagen Kochtopfdeckel gegeneinander, es ist laut. Farooq verpasst den Anruf. Aber er hat schon eine Ahnung, worum es geht.

Viele seiner Kolleg*innen berichten, dass sie ihre Kündigung per Telefonanruf erhalten hätten - Nummer unterdrückt. Am nächsten Tag seien ihre Zugänge zur App, mit der die Schichten vergeben werden, gesperrt gewesen. Von bis zu 350 Kündigungen ist in Medienberichten die Rede, etwa 40 können die Fahrer*innen bestätigen. Betroffen seien Arbeiter*innen in jenen drei Lieferzentren, in denen am Wochenende zuvor gestreikt worden war. Offenbar wurden alle entlassen, die an den betreffenden Tagen im Schichtplan standen. Im Lieferzentrum Bergmannkiez in Kreuzberg sei gleich sämtlichen Mitarbeiter*innen gekündigt worden, mehr als 20, schätzt Farooq. Im Lieferzentrum Gesundbrunnen um die 15, im Lieferzentrum Schöneberg, wo er selbst arbeitet, etwa 10.

Am Freitag sitzt Farooq mit Kolleg*innen zusammen, um zu besprechen, wie sie gegen die Kündigungen vorgehen, als die anonyme Nummer abermals anruft. Am anderen Ende ist eine Gorillas-Managerin. Sie teilt Farooq mit, dass er hiermit ebenfalls gekündigt sei. Farooq erklärt, als Mitglied des Wahlvorstands für die Betriebsratswahl genieße er besonderen Kündigungsschutz. Das spiele keine Rolle, bekommt er als Antwort. »Nach dem Gespräch war ich erst mal geschockt«, erzählt er. »Meine Kündigung ist illegal. Aber das scheint sie nicht zu interessieren.«

»Ja, völlig illegal«, bestätigt Martin Bechert. Der Arbeitsrechtler vertritt 20 entlassene Gorillas-Fahrer*innen. Bechert regt es auf, dass in vielen Medien nur zu lesen ist, dass die Kündigungen wegen des »wilden« Streiks »möglicherweise« rechtswidrig seien. Ja, die Rechtmäßigkeit des Streiks sei strittig, sagt er. Streiks gelten in Deutschland nur dann als zulässig, wenn eine tariffähige Gewerkschaft dazu aufruft. »Aber an den Kündigungen ist so vieles ungesetzlich, da gibt es rechtlich gar keine Frage.« Niemand von den Gekündigten habe zuvor eine Abmahnung erhalten. Zudem müssten Kündigungen, gerade bei befristeten Arbeitsverhältnissen, wie sie bei Gorillas üblich sind, schriftlich erfolgen. »Sicher nicht per Telefonanruf«, so Bechert. Schließlich seien 18 Fahrer*innen, die er vertrete, Kandidat*innen für die bevorstehende Betriebsratswahl. Wie Farooq genießen auch sie besonderen Kündigungsschutz.

»Das weiß natürlich auch Gorillas, die haben ja auch Anwälte«, sagt Bechert. Dem Management sei es aber egal, ob es später vor Gericht verliere oder Strafen zahlen müsse. Gorillas versuche, mit den Entlassungen Fakten zu schaffen. Dabei mache sich das Start-up die materielle Notlage der Arbeiter*innen zunutze. Die Fahrer*innen verlieren mit der Kündigung nicht nur ihr Einkommen, bei vielen ist auch der Aufenthaltsstatus in Deutschland bedroht. »Die Gorillas-Kollegen können nicht sechs oder acht Monate auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts warten. Das Arbeitsrecht ist zu langsam, um sie zu schützen«, sagt Bechert. Zwar werde er gegen die Kündigungen der Betriebsratskandidat*innen per einstweiliger Verfügung vorgehen. Bei allen anderen, deren Kündigungen ebenfalls »klar unwirksam« seien, sei das aber nicht erfolgversprechend.

Spricht Gorillas also bewusst rechtswidrige Kündigungen aus, um unliebsame Mitarbeiter*innen loszuwerden? Das Unternehmen will sich dazu auf nd-Nachfrage nicht äußern - ebenso wenig wie zur Zahl der Kündigungen. Klar ist: Gorillas kommt es gelegen, dass das Interesse an der Frage, ob »wilde« Streiks zulässig sind, die nach der Rechtswidrigkeit der Entlassungen verdrängt. Den Fahrer*innen bleibt nur die Hoffnung, dass öffentlicher Druck das Unternehmen zum Einlenken bewegt oder die Gewerkschaft Verdi den Streik formal übernimmt und damit legalisiert - wodurch auch die Kündigungen zurückgenommen werden müssten. Allein: Bisher gibt es keine Anzeichen, dass Verdi zu diesem Schritt bereit wäre.

Sollte Gorillas mit der Strategie des Faktenschaffens Erfolg haben, könnten sich andere Unternehmen daran ein Beispiel nehmen. Für Arbeiter*innen in prekären Lebenslagen ist das eine schlechte Nachricht.

Muhammad Umar Farooq hat Montag noch mal mit dem Management telefoniert. Das will seine Kündigung nun prüfen. Sein Zugang zur App für die Schichten ist weiter blockiert, an den Treffen des Wahlvorstands nimmt er aber teil. »Technisch gesehen gehöre ich ja immer noch zum Unternehmen.«

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