Peking zähmt seine Lieblinge

Kein Zurück zu Maos Zeiten: Wie sich China im globalen Technologiewettlauf neu positioniert

  • Jan Turowski
  • Lesedauer: 7 Min.

Chinas Regierung macht sich Sorgen um den Markt: Die Behörde für Wettbewerbsaufsicht will das Personal ihrer Anti-Monopol-Abteilung in den nächsten Jahren verdreifachen, hieß es diese Woche in Peking. Ziel ist die Überwachung von Fusionen und Übernahmen, die heimische Technologiekonzerne wie Alibaba und Tencent immer größer hat wachsen lassen. »Die neue technologische Revolution«, warnte der Zentralbanker Cai Fang, »bringt einen bislang ungekannten Trend zur Bildung von Monopolen, die die Ungleichheit erhöhen und das Wirtschaftswachstum bremsen.«

Bereits seit Monaten geht Peking gegen die Technologiekonzerne des Landes vor - verhängt Milliardenstrafen wegen Marktmissbrauch, untersagt Konzernen ihre Geschäfte, prüft ihre Geschäftsmodelle und erlässt immer neue Gesetze. Und ebenfalls seit Monaten verbreitet die internationale Wirtschaftspresse Alarmstimmung: Von einem Machtkampf gegen die Privatwirtschaft ist die Rede oder gar von einer Rückkehr in maoistische Zeiten. Die Kurse chinesischer Aktien stürzen ab, der ehemalige Großinvestor George Soros warnt die internationale Investorenklasse vor einem »bösen Erwachen in Xi Jinpings China«. Betrachtet man die Maßnahmen Pekings jedoch in einem Gesamtkonzept, so erscheint die gegenwärtige Regulierungskampagne durchdacht und langfristig ausgerichtet.

Große Aufmerksamkeit in den westlichen Medien erregte bereits im Herbst 2020 das Vorgehen der chinesischen Behörden gegen den Multimilliardär und Alibaba-Gründer Jack Ma - vor allem das Verbot des US-Börsengangs der Ant Group, der FinTech-Tochter seines Unternehmens. Dies vor allem, weil einer der größten Börsengänge der Geschichte erwartet wurde, mit möglichen Bewertungen der Ant Group von bis zu 37 Milliarden US-Dollar. Seitdem wurden nicht weniger als 50 behördliche Maßnahmen gegen Dutzende Unternehmen eingeleitet. Die Börse traf das hart: Seit Ende Februar hat sich der »Golden Dragon Index« - ein Index für in den USA gehandelte chinesische Aktien - halbiert. Das erklärt Wut und Aufregung der Investoren. Die Regulierungskampagne ist jedoch kein Zurück zu maoistischen Zeiten, sondern zeigt, wie sich China im globalen Technologiewettlauf neu positioniert - und zwar in vier unterschiedlichen Handlungsdimensionen.

Der erste Handlungsbereich betrifft die Regulierung der FinTechs, also von Technologieunternehmen, die Finanzdienstleistungen anbieten. So offerierte die Ant Group nicht nur Versicherungen und Vermögensverwaltung, sondern verknüpfte auch Kreditvergabe und ihr virtuelles Kreditkartenprodukt Jiebei mit ihrem mobilen Bezahldienst Alipay. Die Bezahl-Apps WeChat-Pay und Alipay haben China in nur wenigen Jahren zu einer praktisch bargeldlosen Gesellschaft gemacht, was enorme Entwicklungspotenziale, aber gesamtökonomisch eben auch massive Risiken birgt. Daher schritt die chinesische Zentralbank ein und verlangte: Wenn die Ant Group wie eine Bank agiert, muss sie auch wie eine Bank reguliert und kontrolliert werden.

Der zweite Handlungsbereich waren Anti-Monopolgesetze. Monopolkontrolle über Schlüsselsektoren der chinesischen Wirtschaft sowie der Schutz kleiner innovativer Unternehmen wurden schon seit Langem diskutiert und konkrete Maßnahmen bereits im letzten Jahr angekündigt. Es liegt auf der Hand, dass es nun vor allem riesige Technologieunternehmen trifft, die in der digitalen Plattformökonomie eine Schlüsselrolle spielen und bereits eine Monopolmarktmacht erlangt haben. Betroffen war hier abermals Alibaba. Aber auch gegen andere Onlineplattformen wie Pinduoduo oder Jingdong wurde vorgegangen, weil sie beispielsweise den auf ihren Plattformen tätigen Händlern untersagen, andere Vertriebswege zu nutzen, oder sich weigerten, Zahlungen mit Zahlungssystemen rivalisierender Unternehmen zu gestatten. Gegen den Essen-Lieferdienst Meituan ging die Regulierungsverwaltung vor, da dieser Restaurants, deren Speisen der Konzern ausliefert, verbot, ihre Ware auch bei anderen Lieferdiensten anzubieten. Tencent, dessen WeChat mit 1,2 Milliarden Nutzern die beliebteste Super-App der Welt ist, geriet in den Fokus der Behörden, unter anderem wegen exklusiver Urheberrechtsverträge für 66 Millionen lizenzierte Musiktitel.

Der dritte Bereich umfasst Regulationen, Auflagen und Kontrollen unterschiedlicher Industrien und Sektoren. Große mediale Aufmerksamkeit erregte das Vorgehen des Bildungsministeriums gegen den milliardenschweren Sektor für Nachhilfe und Online-Bildung (EdTech). Hintergrund ist ein überaus kompetitives Schulsystem - um ihren Nachwuchs in der Konkurrenz um gute Jobs zu unterstützen, gibt laut Schätzungen weit mehr als die Hälfte der chinesischen Eltern 20 bis 30 Prozent des jährlichen Familieneinkommens für außerschulischen Nachhilfeunterricht des Kinder aus. Eine Mischung aus elterlicher Sorge um die besten Chancen für ihre Kinder, einem auf Prüfungen fixierten Schulsystem und massivem Marketing privater EdTech- und Nachhilfefirmen schaukelte sich über Jahre immer höher und ließ die Branche auf einen Wert von mehr als 150 Milliarden US-Dollar anwachsen. Dies führte zu einer Überforderung der Kinder und zu massiver sozialer Bildungsungerechtigkeit.

Einige neue Vorschriften verboten die profitorientierte Nachhilfe zum staatlichen Schul-Curriculum, regulierten Betriebszeiten, untersagten die Beteiligung ausländischem Kapitals und verlangten gar, Teile der Unternehmen in gemeinnützige Organisationen umzuwandeln. Das führte dazu, dass große EdTech-Unternehmen wie TAL Education, Gaotu Techedu oder New Oriental innerhalb von 24 Stunden 90 Prozent ihres Börsenwertes verloren. Nun will die chinesische Regierung profitorientierte Nachhilfe überhaupt nicht mehr zulassen, was die Industrie dazu zwingt, sich zukünftig komplett neu zu erfinden.

Die vierte Dimension der Strategie Pekings betrifft Cyber-Security und Datenschutz. Konzerne wie Alibaba, Tencent, ByteDance und andere werden - für viele Beobachter im Westen überraschend - dazu gezwungen, vor dem Sammeln von Daten die Zustimmung der betroffenen Personen einzuholen, und erhalten strenge neue Anforderungen zum Datenschutz. Zudem hat die chinesische Cyberspace Verwaltung (CAC) angesichts wachsender Spannungen in den Beziehungen zu den USA scharfe Regeln erlassen, sensible Verbraucherdaten oder für die nationale Sicherheit relevante Daten ins Ausland zu transferieren. Von dieser Regulation war spektakulär die Mitfahrdienst-App DiDi betroffen, die kurz nach ihrem Börsengang in New York unter massiven behördlichen Druck geriet, was wiederum ihre Kurse einbrechen ließ. Beijing will mit diesem Vorgehen offensichtlich erreichen, dass US-Behörden chinesische Firmen nicht zwingen können, sensible Daten offenzulegen oder gar wie ByteDance Betriebsteile an US-Unternehmen zu verkaufen. Damit Big Data auch künftig die Entwicklung von Technologie vorantreibt, will Peking zudem verhindern, dass die mächtigen Tech-Konzerne des Landes ihre Datenmengen abschotten und monopolisieren.

Auch wenn Vehemenz und Zeitpunkt der staatlichen Maßnahmen vielleicht überraschen, so sind sie doch nicht besonders radikal. Plattformökonomien neigen zu Monopolen, große Technologieunternehmen kontrollieren Daten- und Informationsflüsse und digitale Infrastrukturen und akkumulieren auf diese Weise enorme Macht. Im Westen haben die Regulationsbehörden ähnliche Sorgen. Darüber hinaus scheint Chinas Regierung bei der Regulierung eine Schwächung ihrer großen Unternehmen bewusst in Kauf zu nehmen, ja sogar deren internationale Wettbewerbsfähigkeit zu zerstören.

Der Sinn dieses Vorgehens erschließt sich, wenn man die technologischen Entwicklungs- und Innovationswellen des Landes in den Blick nimmt. Übernahmen früher chinesische Unternehmen die Vorlagen ihrer Geschäftsmodelle aus dem Westen und perfektionierten sie, so sind inzwischen Firmen entstanden, die sich daran machen, selbst weltweit Maßstäbe zu setzen. Seit 2019 lässt sich eine neue Welle junger und spannender Unternehmen wie iCarbonX, Ling.ai, Neolix oder Starfield beobachten, die sich im Gegensatz zu ihren Vorgängern nicht mehr durch schrittweise, sondern durch radikale Innovationen in den Feldern der Robotik, der Künstliche Intelligenz, »Internet der Dinge« oder grüner Technologien kennzeichnen.

Diese Entwicklung will die chinesische Regierung gezielt fördern. Die massiven behördlichen Maßnahmen lassen sich nur vor diesem Hintergrund verstehen. Es ist ein strategisches Ziel Pekings, künftige technologische Entwicklung und bahnbrechende Erfindungen nicht unter der monopolistischen Masse der Tech-Riesen zu ersticken. Westliche Medien und Börsenanalysten konzentrieren sich in ihrer Berichterstattung zu sehr auf die berühmten Unternehmen wie Alibaba, BYD oder Tencent und übersehen, dass allein in letzten Jahren Zehntausende Start-ups gegründet worden, die in vielen Zukunftsbranchen teilweise mit staatseigenen Unternehmen, teilweise mit den großen Tech-Unternehmen zusammenarbeiten. Ihre Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten sollen durch die Regulierungen gestärkt wurden.

Als Xi Jinping 2015 in einer Rede sagte, dass China bis 2030 ein führender Akteur globaler Innovation sein soll, wurde er noch weltweit belächelt. Zu groß schien der Abstand zu den Innovationszentren in den USA und Europa zu sein. Doch wenn man sich die kurzen Intervalle der Innovationszyklen in China - vier, fünf Jahre - betrachtet, dann wirkt Xis Forderung heute mehr als realistisch.

Auch in den USA stehen die Technologie-Giganten zunehmend dem Erfolg der Wirtschaft im Weg.

Jan Turowski ist Leiter des Pekinger Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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