- Politik
- Parteitag der Grünen
Im Konflikt mit der Bewegung
Grüne stimmen für Aufnahme von Koalitionsgesprächen und werden von Fridays for Future kritisiert
Die Dramaturgie des Kleinen Parteitags der Grünen am Sonntag in Berlin sah vor, dass die Vorsitzende Annalena Baerbock als letzte Rednerin auftrat. Sie warb bei den Delegierten dafür, dass diese für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit SPD und FDP stimmen. Als Begründung nannte Baerbock unter anderem die Passagen zum Klimaschutz in dem rot-grün-gelben Sondierungspapier. »Da haben wir sehr viel erreicht«, sagte Baerbock. Es sei die zentrale Aufgabe dieser Zeit, beim Klimaschutz voranzukommen. Die Chefin der Grünen lobte den Satz im Papier, wonach künftig auf Gewerbeflächen und privaten Häusern Solaranlagen gebaut werden müssen. Baerbock versprach, dass die Grünen bei anderen Punkten zum Thema Klimaschutz noch hart verhandeln werden. »Wir müssen Deutschland in diesem Jahrzehnt auf den 1,5-Grad-Pfad bringen«, kündigte die Parteichefin an. »Wir haben den Mut zu echten Entscheidungen und Veränderungen mit SPD und FDP.«
Damit überzeugte sie die Mehrheit der rund 70 stimmberechtigte Delegierte in der Halle. Es gab nur zwei Nein-Stimmen zur Aufnahme der Koalitionsgespräche und eine Enthaltung. Vertreter der Klima- und Umweltbewegung, die den Grünen nahestehen, haben sich hingegen skeptisch gegenüber der möglichen neuen Koalition geäußert. »Wenn man das Sondierungspapier an dem misst, was wir in den letzten 16 Jahren an Klimapolitik erlebt haben, ist das ein Schritt nach vorne. Aber das ist nicht der Maßstab«, schrieb die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer, die selber Mitglied bei den Grünen ist, am Freitagabend im Kurznachrichtendienst Twitter. »Das Problem ist dabei weniger das, was drin steht, als das, was nicht drin steht. Kein verbindlicher Kohleausstieg, kein realistischer, gerechter CO2-Preis, kein Ende der Flächenversiegelung. Das geht nicht auf«, kritisierte Neubauer.
Der Anspruch an die kommende Bundesregierung sei, das eigene »1,5-Grad-Budget« nicht zu überziehen, also die Erderwärmung unter 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten, so die Aktivistin. Sie kündigte Protest an. »Das werden lange Verhandlungen. Wir werden streiken«, schrieb Neubauer. Der nächste große Klimastreik ist am kommenden Freitag geplant.
Auch Umweltverbände fordern Nachbesserungen von SPD, Grünen und FDP. Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt, schrieb, dass die künftige Bundesregierung ein Moratorium für den Bau neuer Fernstraßen und eine Absicherung des Naturschutzrechtes bei der Planungsbeschleunigung festlegen müsse. Außerdem seien verbindliche Festlegungen für einen wirksamen CO2-Preis und ein damit gekoppeltes Bürgergeld notwendig, forderte Bandt.
Kaum innerparteiliche Kritik
Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser lobte zwar, dass die drei Parteien beim Klimaschutz »guten Willens« seien. Es fehlten aber konkrete Schritte, etwa zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. »Nicht einmal ein Tempolimit soll es geben. Offen geblieben ist, wie die kommende Bundesregierung die Landwirtschaft zukunftsfähig machen will. Ebenso unklar ist, wie Artensterben und Naturzerstörung gestoppt werden sollen«, monierte Kaiser. Die Koalitionsverhandlungen müssten »jetzt die notwendige Substanz liefern, um den politischen Neuaufbruch zu gestalten«.
Innerparteilich muss die Führung der Grünen hingegen kaum mit scharfer Kritik rechnen. Timon Dzienus, Sprecher der Grünen Jugend, begrüßte auf dem Kleinen Parteitag, dass in dem Sondierungspapier die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, die Einführung der Kindergrundsicherung und Maßnahmen zur Energiewende festgehalten wurden. Mit Blick auf die Anführer von SPD und FDP kündigte Dzienus an, dass die Grüne Jugend »den Druck auf Lindner und Scholz aufrechterhalten« werde. »Das Hartz-IV-System muss sich ändern. Wir wollen, dass Schluss mit den Sanktionen ist und die Regelsätze erhöht werden«, forderte der Nachwuchspolitiker.
Deutlich kritischer äußerte sich Cansin Köktürk aus Bochum. Sie habe nach der Lektüre des Sondierungspapiers den Eindruck, die FDP habe die Wahl gewonnen. »Wo steht in diesem Sondierungspapier die wahrhaftige Beseitigung der Armut in diesem Land?«, fragte Köktürk.
Bundestags-Fraktionschef Anton Hofreiter erinnerte hingegen daran, dass die Grünen nicht die absolute Mehrheit bei der Bundestagswahl erreicht hatten und deswegen nun Kompromisse notwendig seien. Ihn schmerze, dass das von den Grünen geforderte Tempolimit auf Autobahnen nicht kommen werde. »Aber dafür kriegen wir das Ende des Verbrennungsmotors«, erklärte Hofreiter. Er kündigte an, dass die Grünen sich in den Koalitionsverhandlungen für weitere Maßnahmen einsetzen werden, um die Verkehrswende voranzubringen.
Die Berliner Fraktionsvorsitzende Antje Kapek forderte ihre Partei dazu auf, sich in diesen Gesprächen auch verstärkt um die Mietenpolitik zu kümmern. »Wir brauchen radikale Maßnahmen, um die Mieter zu schützen. Bitte verhandelt hier knallhart«, erklärte Kapek. Die Sondierenden streben den Bau von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr an. 100 000 Wohnungen sollen durch öffentliche Gelder gefördert werden. Ein Mietenstopp ist nicht vorgesehen. Bei dem Erwerb von Immobilien wollen Sozialdemokraten, Grüne und FDP künftig den Kauf mit Bargeld verbieten.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.