- Berlin
- Mieterfrust
Wohnen in der Filmkulisse
Mieter in Prenzlauer Berg müssen immer wieder Dreharbeiten ertragen
Nebel steigt auf, und vermummte Polizisten versammeln sich vor einem Hauseingang. Was nach einer Razzia aussieht, wird irgendwann in den Kinos zu sehen sein. An der Schwedter Straße 247 und 248 im Pankower Ortsteil Prenzlauer Berg wird ein Film gedreht. Zum Leidwesen der Mieter, deren Zuhause in den vergangenen Wochen zur Kulisse geworden ist. Nicht zum ersten Mal, sagt einer der Mieter, der seit 20 Jahren hier wohnt. Den inszenierten Polizeieinsatz vor dem Hauseingang hat er Ende September aus seinem Schlafzimmer heraus dokumentiert. Blickt er jetzt aus seinem Küchenfenster, zeigt sich ein ähnliches Bild: Im Innenhof sind zahlreiche Personen zugange, Kabel wurden verlegt, Licht installiert. »Ich wohne in Klein-Babelsberg«, sagt der über 80-jährige Mann.
Dass in dem Haus Menschen wohnen, scheint keine Rolle zu spielen. Diesen Eindruck haben zumindest die Mieter. Einige von ihnen haben mit einem Aushang das Filmteam darauf aufmerksam gemacht, was die Dreharbeiten für sie bedeuten. »Unsere Mülleimer stehen seit Wochen auf offener Straße. Unser Hauseingang ist euer Raucherbereich, das Trottoir sieht aus wie eine Müllhalde«, schreiben die Verfasser. Hinzu käme, dass der Strom unangekündigt abgedreht, Fahrräder weggestellt und Hausnummern überklebt worden seien.
Der Mieter, der hier seit Anfang der 2000er Jahre wohnt, zählt bisher über 20 Dreharbeiten in dem Haus. Was hier aktuell gedreht wird, hat er selbst recherchiert. Er zeigt eine Präsentation, die er über den Film gefunden hat. In dieser finden sich Bilder des Innenhofs, die Gesichter mehrerer namhafter deutscher Schauspieler und eine Kurzbeschreibung der Handlung, bei der man denken könnte, die Mieter seien selbst Teil des Films. »Aufgrund eines nicht erklärten Vorfalls außerhalb eines Berliner Hofes sperrt die Polizei die Hofzugänge, es kommt zum Ausnahmezustand. Die Verunsicherung unter den Bewohnern befeuert allmählich Ängste. Argwohn und Panik greifen um sich, Vorurteile spalten die Gemüter«, so die Erzählung.
»Die richtigen Bewohner sind tatsächlich verängstigt«, sagt der Altmieter. Eine Nachbarin würde sich beispielsweise nicht mehr trauen, ihr Auto vor dem Haus abzustellen, weil dort der Filmtross parkt. Der Produktionsleiter hätte ihn selbst auch schon einmal angeschrien, sagt er. Bei der verantwortlichen Produktionsfirma gibt man sich hingegen verantwortungsbewusst. Man wisse, dass Dreharbeiten für Anwohner lästig sein können. Die Mieter würden den Produktionsleiter kennen, könnten ihn auch telefonisch erreichen. Einer Person im Haus habe man zudem einen Drehplan gegeben, auch sei den Mietern ein Entgelt gezahlt worden. »Wir haben großes Verständnis für die Mieter, umso mehr, als wir durch unsere Dreharbeiten erfahren mussten, dass deren Haus wohl sehr oft für Dreharbeiten genutzt wird und bedanken uns ausdrücklich bei ihnen«, teilen die in Köln ansässigen Produzenten von Zeitsprung Pictures mit.
Warum ausgerechnet seine Adresse so oft als Filmkulisse dient, kann sich der Altmieter durchaus erklären. »Die Hausverwaltung will uns hier nicht.« Das Haus ist tatsächlich in einem desolaten Zustand. »Die Stromleitungen sind uralt, im Treppenhaus blättert alles ab, und der Keller steht unter Wasser.« An Instandhaltungsarbeiten kann sich der Mieter zugleich nicht erinnern. Seine Erklärung: Am Haus wird nichts gemacht, damit es als »authentische« Kulisse für Drehs dienen kann, die am Ende mehr einbringen als die Mietzahlungen. Mit einer fehlenden Instandhaltung und der Belastung durch die Filmdrehs solle ihnen darüber hinaus das Wohnen so unannehmlich wie möglich gemacht werden.
Zu dem Gebäudekomplex gehören neben den beiden Häusern an der Schwedter Straße auch noch zwei an der Kastanienallee. Die Mieter haben nachgezählt: Von 26 Wohneinheiten seien nur noch elf bewohnt. Viele stünden schon seit Jahren leer. Ob es sich hierbei um einen Verstoß gegen das Zweckentfremdungsverbot handelt, kann das Bezirksamt Pankow nicht sagen. Es sei kein Leerstand angezeigt worden, Eigenrecherchen wären aufgrund der personellen Situation nur begrenzt möglich, heißt es. Die Hausverwaltung selbst hat auf eine nd-Anfrage nicht reagiert.
Die Mieter, die den Aushang verfasst haben, nehmen aber explizit auch die Filmwirtschaft in die Pflicht. Durch die Anmietung würde die Produktionsfirma zu einem »willfährigen Handlanger« derjenigen werden, »die diesen Kiez ausbluten lassen wollen«, schreiben sie. Und: »Selbst wenn sich jeder einzelne Produktionsleiter aus der Verantwortung stiehlt, so habt ihr als Branche eine kollektive Verantwortung.«
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