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Politik ist für Ernährung verantwortlich
Food Environment Policy Index 2021 stellt Deutschland nur mittelmäßiges Ergebnis aus
»Die allermeisten Menschen wollen sich gesund und nachhaltig ernähren - doch dies ist im Alltag oft erstaunlich schwer.« Diese Schlussfolgerung begründet Peter von Philipsborn von der Ludwig-Maximilians-Universität München mit dem Angebot. So seien gesunde Lebensmittel häufig teurer, die Auswahl an ungesunden Lebensmitteln in den Regalen überwiege, und es sei für Verbraucher*innen schwer zu erkennen, welche Lebensmittel gesund sind, sagte von Philipsborn bei der Vorstellung des Food Environment Policy Index 2021 (Food-EPI) für Deutschland am Mittwoch bei einer Online-Präsentation.
Dieser Index der Ernährungspolitik wurde bereits in 40 Ländern erstellt, nun liegen die Ergebnisse für Deutschland vor. Tatsächlich erreicht die Politik hierzulande für keinen der 47 Indikatoren einen sehr guten Wert - untersucht wurde eine gesundheitsförderliche Ernährungspolitik im Vergleich mit internationalen Best-Practices-Maßnahmen. Deutschland sei gut in den Bereichen Ernährungsempfehlungen und Monitoring, nur würden die Empfehlungen »eben nicht verbindlich umgesetzt«, bemängelte von Philipsborn. »Von der kommenden Bundesregierung erwarten wir konkrete praktische Maßnahmen, um eine ausgewogene Ernährung für alle im Alltag möglich zu machen.« Die Zeit der Rücksicht auf die Lebensmittelindustrie sollte endlich vorbei ein.
Für eine gute Ernährungspolitik gebe es Handlungsoptionen auf allen politischen Ebenen. So könnten Bund, Länder und Kommunen gemeinsam verbindlich Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für die Schul- und Kitaverpflegung umsetzen - ebenso wie in Behörden, Hochschulen, Kliniken und Senioreneinrichtungen. Zur Finanzierung sollte laut den 55 Wissenschaftler*innen, die an dem Index gearbeitet haben, eine Herstellerabgabe auf Softdrinks nach britischem Vorbild eingeführt werden. Dort gilt: Je mehr Zucker, desto höher die Steuer.
Außerdem brauche es endlich verbindliche gesetzliche Regeln auf Bundesebene, um Kinder vor Werbung für ungesunde Lebensmittel zu schützen. »Zahlreiche Studien zeigen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen hochverarbeiteten Lebensmitteln und Übergewicht besteht«, sagte Antje Hebestreit vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Das gilt insbesondere für Snacks und Softdrinks. »Leider hat die Lebensmittel- und Werbeindustrie ihre unverbindlichen, selbst gegebenen Regelwerke zu Kinder-Lebensmittelwerbung bislang konsequent ignoriert - und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich dies in Zukunft ändern wird, solange die Regeln freiwillig und unverbindlich bleiben.«
So wird bereits eine halbe Ewigkeit über die sogenannten Nörglerregale im Handel diskutiert - quengelnde Kinder an der Kasse, weil ihnen Süßigkeiten auf Augenhöhe präsentiert werden. Eigentlich ein Leichtes, hier Abhilfe zu schaffen, kostet nur wenig, schmälert aber wohl auch die Gewinne der Unternehmen.
Als ebenfalls erfolgreich einzuschätzende Maßnahme gilt eine gesundheitsförderliche Mehrwertsteuerreform. Gerade in diesen Wochen haben Preissteigerungen bei Obst und Gemüse gezeigt: Verarbeitete, aber oft ungesunde Lebensmittel sind häufig billiger. Vor allem arme Menschen sind so gezwungen, auf gesundes Essen zu verzichten. Hier sei auch die Europäische Union gefragt. Die EU-Umsatzsteuerrichtlinie müsse reformiert werden, um eine vollständige Mehrwertsteuerbefreiung für gesunde Lebensmittel zu ermöglichen, heißt es im vorgelegten Bericht.
»Dies hat ernsthafte Folgen für unsere Gesundheit: Unausgewogene Ernährungsmuster erhöhen das Risiko für Adipositas (starkes Übergewicht), Diabetes mellitus Typ 2 (Zuckerkrankheit), Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verschiedene Krebsarten«, erklärte Diana Rubin, Leiterin des Vivantes-Zentrums für Ernährungsmedizin in Berlin. Dabei sei eine ausgewogene Ernährung nicht nur gut für die Gesundheit. »Besonders vorteilhaft für Klima und Gesundheit ist es, rotes und verarbeitetes Fleisch durch gesunde pflanzliche Lebensmittel zu ersetzen.« Bei der Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch entstünden 30 bis 100 Kilogramm CO2-Äquivalente - 30- bis 100-mal so viel wie für ein Kilogramm Hülsenfrüchte.
»Verschiedene wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass eine Ernährung entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung mit einem deutlich niedrigeren ökologischen Fußabdruck einhergeht als unsere aktuelle Ernährung«, so Rubin. Aktuelle Zahlen sehen ein Viertel der globalen Treibhausgasemissionen durch unsere Ernährung bedingt, zudem sei das Ernährungssystem hauptverantwortlich für den Biodiversitätsverlust, die Entwaldung und den Verlust von Süßwasserreserven.
Manche Maßnahmen wären dabei auch ganz einfach umzusetzen. So empfiehlt die Ernährungswissenschaft Wasser als bestes Getränk zum Durstlöschen. In vielen Ländern ist es selbstverständlich, dass Trinkwasser in Restaurants oder Imbissen kostenlos zur Bestellung dazugereicht wird. Nicht jedoch in Deutschland, wo das Trinkwasser eine gute Qualität hat. Zu teuer sagen Gastronomen. In der neuen Studie wird deshalb auch vorgeschlagen, Gastronomiebetriebe zu verpflichten, Leitungswasser kostenfrei oder gegen eine geringe Servicegebühr abzugeben.
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