- Politik
- Ampel-Koalition
Die Ampel auf der Suche nach einer halben Billion
SPD, Grüne und FDP vermutlich nicht um einen kreativen Umgang mit Neuschulden herumkommen
Eigentlich, so heißt es, wird über Personalfragen erst am Ende gesprochen. Und eigentlich haben die Koalitionsverhandlungen noch gar nicht begonnen. Trotzdem steht eine Personalentscheidung schon ganz oben auf der Tagesordnung: Wer wird der nächste Bundesfinanzminister? FDP-Chef Christian Lindner macht schon länger keinen Hehl daraus, dass er scharf auf den Job ist. »Kein künftiger Finanzminister darf auf viel Applaus hoffen. Er wird öfter Nein sagen müssen. Aber ich wäre bereit dazu«, sagte er im August, noch einen Monat vor der Bundestagswahl, im Interview mit der »Bild«-Zeitung.
Doch nun, da die Ampel-Verhandlungen beginnen, wird auch Grünen-Co-Chef Robert Habeck als möglicher Kandidat gehandelt. Schließlich hat der Bundesfinanzminister viel Macht im Kabinett. Viele wichtige Behörden wie der Zoll oder die Bundesbank sind seinem Ressort unter- oder beigeordnet. Und nicht zuletzt ist er derjenige, der über den Haushalt, das Geld wacht.
Doch wird die Person, die künftig das Bundesfinanzministerium leitet, so etwas wie die Quadratur des Kreises hinbekommen müssen. Sie wird den Haushalt so bauen müssen, dass die Koalition gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten und Milliarden für den Klimaschutz mobilisieren kann. Und das gänzlich ohne Steuererhöhung. »Wir werden im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur«, heißt es dazu in dem Papier, das SPD, Grüne und FDP am Freitag nach Abschluss der Sondierungen veröffentlichten.
Zwar schreiben die Koalitionär*innen in spe, dass sie »zusätzliche Haushaltsspielräume« dadurch gewinnen würden, dass sie »den Haushalt auf überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen«. Doch ob das ausreicht, ist fraglich. Denn es geht um Milliardeninvestitionen, die die Grünen vorhaben. So sprach Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock am Dienstag im ZDF-»Morgenmagazin« von jährlich 50 Milliarden Euro, die gebraucht werden, »um die Zukunftsaufgaben anzugehen und das Land grundsätzlich zu modernisieren«.
Die SPD nennt diese Summe ebenfalls schon länger. »Mein Finanzplan sieht jährliche Investitionen von 50 Milliarden Euro vor«, sagte SPD-Kanzlerkandidat und Noch-Bundesfinanzminister Olaf Scholz einige Tage vor der Wahl dem »Handelsblatt«. Das sei viel Geld. Auch die Gewerkschaften fordern in etwa diese Summe. So ist eine Kernforderung des DGB »ein umfangreiches staatliches Investitionsprogramm von zusätzlich mindestens 45 Milliarden Euro pro Jahr für zehn Jahre«. Das heißt, die Koalition wird irgendwie für die nächsten zehn Jahre eine Summe zwischen 450 Milliarden und einer halben Billion Euro zusammenkratzen müssen.
Zwar schreiben die Grünen in ihrem Wahlprogramm von klimaschädlichen Subventionen der öffentlichen Haushalte in Höhe von über 50 Milliarden Euro pro Jahr, die sie schrittweise abbauen wollen. Doch auch nach ihrer Rechnung sind lediglich rund 15 Milliarden Euro für »Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit« mobilisierbar. Die Koalition müsste also irgendwie jährlich 30 bis 35 Milliarden Euro zusammenbekommen, will sie wirklich so viel Geld investieren. Da SPD, Grüne und FDP Steuererhöhungen oder die Wiedererhebung einer Vermögenssteuer ausschließen, geht dies nur mit Hilfe von neuen Krediten, was wiederum dem Gedanken der Schuldenbremse widerspricht - auch wenn laut Grundgesetz bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als neue Schulden erlaubt sind.
»Man wird sehr viel Tricks anwenden müssen, um öffentlich darstellen, dass das alles unter einen Hut geht. Es geht nicht unter einen Hut«, meinte denn auch Hans Eichel (SPD), seinerzeit Bundesfinanzminister unter Gerhard Schröder, zu den Plänen der Ampel. Er empfiehlt, nächstes Jahr noch mal »einen großen Schluck aus der Pulle zu nehmen«. Dies hat auch der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, vergangene Woche vorgeschlagen. Denn 2022 ist die Schuldenbremse aufgrund der Coronakrise noch außer Kraft gesetzt. Das heißt, die neue Koalition könnte noch einmal ordentlich Kredite aufnehmen, um das Geld für die notwendigen Investitionen zu verwenden. »Das kann man machen, aber es ist nichts anderes als eine Umgehung der Schuldenbremse«, so Eichel.
Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, wie die Schuldenbremse umgangen werden kann. Denn dass sie abgeschafft wird, ist unwahrscheinlich. Da sie im Grundgesetz verankert ist, bräuchte es dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Wie trotzdem Geld für Investitionen mobilisiert werden kann, hat das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in einer im Juli erschienenen Studie durchgerechnet. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel die Schaffung von öffentlichen Investitionsgesellschaften, über die die Kredite aufgenommen werden könnten. Der Vorteil: Diese Schulden werden nicht von der Schuldenbremse erfasst, allerdings engt das EU-Recht hier den Handlungsspielraum der Bundesregierung ein. Ohne Änderungen der EU-Fiskalregeln wäre deswegen zwischen 2023 und 2030 nur ein Spielraum von Extraschulden in Höhe von 56 Milliarden Euro drin. Würde die Staatengemeinschaft ihre Regeln ändern, wären laut dem IMK bis zu 222,2 Milliarden drin.
Weitere Optionen wären zum Beispiel, die Corona-Schulden nicht zu tilgen, oder aber 2023 allmählich wieder zur Schuldenbremse zurückzukehren - statt wie bisher vorgesehen sofort. Dies würde laut Berechnungen des IMK zusätzliche Spielräume von 108,2 beziehungsweise 215,9 Milliarden Euro bringen. Allerdings müsste dafür das Grundgesetz geändert, aber die Schuldenbremse nicht abgeschafft werden.
Es gäbe also durchaus Spielraum, die Ampel müsste nur kreativ sein. Und die eine oder andere kreative Idee liegt bereits in der Schublade.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.