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Fahrpreise bleiben stabil
Verkehrsverbund dringt auf schnelleren Ausbau des Angebots
Die übliche jährliche Tariferhöhung im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) wird zum Jahresbeginn 2022 ausfallen. Das hat der Aufsichtsrat am Donnerstag beschlossen. »Es stimmt, unsere Verkehrsunternehmen leiden in der Coronakrise und brauchen den ÖPNV-Rettungsschirm. Trotzdem wäre eine Erhöhung der Ticketpreise im VBB zum jetzigen Zeitpunkt das falsche Zeichen«, erklärt dazu VBB-Chefin Susanne Henckel. Man wolle »signalisieren, dass wir die Fahrgäste im Blick haben und auf sie bauen«, so Henckel weiter.
Das ist auch bitter nötig. Denn 2020 zählte der VBB nur noch 1,07 Milliarden Fahrgäste - 32 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. »Die Menschen sind nicht nur im Homeoffice geblieben, sondern haben auch ihre Mobilität und Mobilitätsverhalten angepasst«, sagt Henckel schon am Mittwochabend bei einer Online-Diskussion zum Thema »Pendelverkehr als Herausforderung«. Eingeladen hatte das von den Kommunen getragene Deutsche Institut für Urbanistik (Difu).
315 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte pendelten 2018 täglich zwischen Berlin und Brandenburg, bemerkenswert ist vor allem der Zuwachs der Auspendler aus der Hauptstadt in die Mark. Um 31 Prozent auf 89 000 Menschen im Jahr 2018 stieg deren Zahl im Zehn-Jahres-Vergleich. Die Zahl der Einpendler aus Brandenburg ging um 24 Prozent nach oben. Von einem weiteren Anstieg ist auszugehen. Im Tesla-Werk in Grünheide sollen bald 10 500 Beschäftigte im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten, am Flughafen BER dürften zu den 2300 direkt und 3700 extern Beschäftigten weitere hinzukommen. Beim Projekt Siemensstadt 2.0 wird mit 11 000 Arbeits- sowie 1200 Ausbildungs- und Studienplätzen gerechnet, die Umnutzung der Flächen des ehemaligen Flughafens Tegel als Urban Tech Republic soll Arbeitsgelegenheiten für 20 000 Menschen schaffen.
»Bundesweit pendeln 68 Prozent der Beschäftigten mit dem Auto«, sagt Jürgen Gies, ÖPNV-Experte beim Difu. »22,4 Prozent der klimarelevanten Emissionen des Personenverkehrs entfallen auf das Berufspendeln«, verdeutlicht er die klimapolitische Dimension. Zu 95 Prozent ist dafür der Pkw-Verkehr verantwortlich.
Seit 2010 kämpft die SPD-Politikerin Ines Hübner als Bürgermeisterin von Velten (Oberhavel) für die Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Anschlusses an ihre Stadt, nördlich von Berlin. Knapp 13 000 Einwohner zählt Velten. Über 80 Prozent der rund 5400 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Bewohnerinnen und Bewohner pendeln täglich aus, etwa 2000 davon nach Berlin. Es gibt aber fast genauso viele Einpendler.
»Die erste Priorität ist eine komfortable, barrierefreie Verbindung nach Berlin mit der S-Bahn«, sagt Hübner. Seit dem Mauerfall wird darum gerungen, doch weiterhin enden die S-Bahnen aus Berlin in Hennigsdorf, dann muss in Regionalzüge umgestiegen werden. Der Anschluss klappt jedoch oft nicht. »Zwischen 700 und 1000 Wohnungen könnten am Bahnhof entstehen. Man muss aber überlegen, in welcher Form man die bauen kann, ohne dass die Bürger zu Recht sagen: ›Ihr habt kein vernünftiges Verkehrskonzept.‹« Mit dem Landkreis sei man in intensiven Diskussionen über die Ausweitung des Busangebots. Dies betreffe vor allem die Gewerbestandorte. Nicht nur Auszubildende hätten inzwischen oft kein Auto mehr oder auch keine Lust auf tägliches Im-Stau-Stehen.
»Wir müssen endlich den ÖPNV auf die Überholspur setzen«, fordert VBB-Chefin Henckel. Zu lange dauere auch das gemeinsame Schienenausbauprogramm i2030 von Berlin und Brandenburg, »denn die Deutsche Bahn ist darauf gar nicht vorbereitet«. Hübner sekundiert: »Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.«
Immerhin könnte es Verbesserungen bei der Nutzen-Kosten-Untersuchung geben, die jedes Aus- oder Neubauprojekt zunächst bestehen muss, bevor Bundesmittel dafür freigegeben werden. Man denke bei i2030 »in enger Begleitung« des Bundesverkehrsministeriums darüber nach, auch die durch den Ausbau mögliche Vermeidung von klimaschädlichen Emissionen in die Nutzen-Kosten-Untersuchung einfließen zu lassen. »Es gibt noch kein neues Vorgehen, aber der Bund hat seine Bereitschaft erklärt«, so Henckel.
Der VBB hält die Einrichtung von Coworking Spaces - geteilten Büroräumen, die flexibel nutzbar sind - für eine Möglichkeit, Pendlerverkehr zu vermeiden. Bahnhöfe seien als Standorte dafür prädestiniert. »Wir wollen Pilotprojekte mit einigen Kommunen starten«, kündigt Henckel an.
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