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Reichelt schadet dem hehren Anliegen!

Jeja nervt: Der ehemalige Bild-Chefredakteur beließ es nicht bei Verteidigung, das fällt nun nicht nur auf ihn zurück

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war eine schlechte Woche für Männer. Am Montagabend musste Julian Reichelt seinen Posten als Chefredakteur der »Bild« räumen. Zuvor berichtete die »New York Times« detailliert aus Vorgängen innerhalb der Redaktion der traditionsreichen deutschen Zeitung.

Im März dieses Jahres hatte Reichelt mit ungeheuerlichen Vorwürfen gegen ein halbes Dutzend Kolleginnen für Aufmerksamkeit und Empörung gesorgt. Die sollen, so Reichelt, Lügen über ihn verbreitet und diese auch an Journalist*innen des Konkurrenzunternehmens »Spiegel« weitergegeben haben. Doch statt sich, wie so viele in Reichelts nun schwieriger Lage, zurückzuziehen und aus Angst, Scham und Selbstbeschuldigung zu schweigen, traute sich Reichelt an die Öffentlichkeit.

JEJA NERVT

Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasnd.de/jejanervt

Die mutmaßlichen Lügen, die über ihn verbreitet worden waren, seien falsch, sagte der Mann damals, der wie kein Zweiter für die Marke »Bild« steht. Doch er beließ es nicht bei reiner Verteidigung. Er traute sich auch, gegen seine mutmaßlichen Peinigerinnen in die Offensive zu gehen. Er werde sich, wie er gegenüber der ganzen Redaktion in einem halböffentlichen Schreiben kundtat, »gegen die wehren, die mich vernichten wollen, weil ihnen ›Bild‹ und alles wofür wir stehen, nicht gefällt«.

Männer im Land waren verunsichert. Fälle, in denen einzelne Frauen Lügen über Männer und angeblich durch sie begangene Missetaten verbreitet hatten, kannten viele. Etwa aus dem Freundeskreis oder aus eigener, schmerzlicher Erfahrung. Doch was Reichelt, mutmaßlich, geschehen war, war viel schlimmer. Hier hatten sich, so der Vorwurf, gleich ein halbes Dutzend Frauen dazu verabredet, ähnlich lautende Lügen aufzustellen - nur, um dem Arbeitgeber des Betroffenen zu schaden.

Die Zeitung hatte sich in den Monaten zuvor als einzig wahrnehmbare Stimme gegen die an dunkle DDR-Zeiten erinnernden Allüren der Bundesregierung anlässlich der Coronakrise gewehrt. Würde »Bild« verschwinden, wäre die Presse gleichgeschaltet gewesen. Dafür sollten nun, wie es den Anschein hatte, die jungen und attraktiven, mutmaßlich als Volontärinnen getarnten Sex-Agentinnen sorgen.

Natürlich galt für die Frauen die Unschuldsvermutung. Auch aufgrund der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe, sich zu Straftaten wie falschen Verdächtigungen zulasten Reichelts verabredet zu haben, hielten sich viele Menschen mit öffentlichen Spekulationen und Schuldzuweisungen zurück. Doch der Unmut bei Beobachter*innen war unübersehbar.

Viele sprachen dem mutmaßlichen Opfer die Unterstützung aus. Immerhin würde Reichelt, wenn etwas an ihm kleben bliebe, durch sie sozial vernichtet. Und tatsächlich: Das Compliance-Verfahren belastete die Frauen weiter. Es konnten in der ausführlichen Untersuchung keine Anhaltspunkte dafür gefunden werden, dass Reichelt Straftaten begangen hatte. Der »Bild«-Chef war rehabilitiert und kündigte an, in den folgenden Wochen eine neue Unternehmenskultur in der Zeitung zu etablieren und vorzuleben.

Am Montag, über ein halbes Jahr später, überschlugen sich nun die Ereignisse. Der Fall, der eigentlich als abgeschlossen galt, drehte sich. Die Einblicke, die die »New York Times« präsentierte, zwangen Springer zum Handeln. Reichelt wurde von seinen Aufgaben entbunden.

Nun hat es den Anschein, dass er die Vorwürfe gegen die Frauen nur erfunden hatte. Spekulationen über sein Motiv, etwa ein hysterisches Naturell, der Genuss öffentlicher Aufmerksamkeit oder ein erhoffter Karriereschub, verbieten sich natürlich. Auch für Reichelt gilt die Unschuldsvermutung.

Doch die politischen und kulturellen Folgen des Falls zeichnen sich bereits ab. Im März war Reichelt noch so viel öffentliche Unterstützung zugeflogen. Nun scheint es, als habe er dem hehren Anliegen von Männern, sich gegen falsche Vorwürfe von Frauen und männerfeindlichem Sexismus zu wehren, einen Bärendienst erwiesen.

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