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Ideologie und Habgier
Neue Bücher über Verblendungszusammenhänge
Mit dem Begriff »Ideologie« kann man heutzutage den mittig verorteten Bürger erschrecken und die durchaus vernünftige Forderung eines politischen Gegners, etwa nach einem Tempolimit oder der Respektierung nicht männlicher Daseinsweisen, in quasikommunistisches Teufelszeug verwandeln. Seit Marx ist der Begriff, der seine Kritik schon in sich trägt, der Ausdruck eines sich aus den gesellschaftlichen Macht- und Produktionsverhältnissen ergebenden Ideenkonstrukts, das nicht selten auch als Verblendungszusammenhang analysiert wird. Die Wissenssoziologie hingegen bezeichnet damit die Leitbilder sozialer oder politischer Gruppen, die Ideen und Werte, die diese Gruppen zusammenhalten.
Im sogenannten postideologischen Zeitalter nach der Auflösung der Systemkonfrontation wurde das gegenwärtig Seiende als einzig wahr und gültig und damit als unideologisch klassifiziert. Ein klassischer Taschenspielertrick, denn natürlich ist die Anti-Ideologie selbst Ideologie, objektiv und wertfrei nur das Für-sich-Seiende. Soziale Interaktion findet immer in einem Ideen- und Werterahmen statt.
Die Habgier hingegen ist einfach klassifiziert: sich ein Zuviel, dem anderen gar nichts gönnen; Sucht, eine der sieben Todsünden. Freilich tritt sie in immer neuen, gänzlich wertfreien Gewändern auf - als Menschenrecht auf Reichtum, als gottgegebene Eigentumsordnung, als Wachstumszwang. Am putzigsten erscheint sie, wenn sie im Verblendungszusammenhang (Ideologie) das eigentlich Schlechte (Todsünde) zum Rationalen (gesunder Menschenverstand) macht: Der deportierte Nachbar braucht sein Zeug eh nicht mehr, ich passe nur darauf auf; wir müssen unsere Arbeitskräfte billiger machen, weil WIR sonst nicht konkurrenzfähig sind etc. pp.
Das ist die Kurzfassung. Die Literatur bietet deutlich mehr Raum für die Darstellung und Analyse von Verblendungszusammenhängen, die im günstigen Falle nur kurios sind, im schlechtesten Tragödien hervorbringen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine unterhaltsame Lektüre.
Wir stellen Bücher aus unabhängigen Verlagen vor
In dieser Ausgabe:
Jürgen Meier: Wöbkenbrot und Pinselstrich
Anaïs Meier: Mit einem Fuss draussen
Christian Bartel: Ich bin nicht in meinem Alter!
Theodor Wolff: Die Schwimmerin
Michael Menzel: Schattenmächte. Operation Omgus
Karen Ruoff: Academia
Victoria Wolff: Gast in der Heimat
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