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Spaltpilz für die Ampel-Koalition
Die Debatte über die »epidemische Lage nationaler Tragweite« ist angesichts der Pandemielage gefährlich. Dahinter steckt wohl auch ein politisches Ränkespiel
Jens Spahn bleibt auch nach der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz stur und hält an seiner Forderung fest, dass der Bundestag die »epidemische Lage nationaler Tragweite« Ende November auslaufen lassen solle. Es gehe darum, nach 19 Monaten einen Ausnahmezustand zu beenden, sagte der CDU-Noch-Gesundheitsminister im Deutschlandfunk. Die Befugnisse der Bundesregierung sollten dadurch in einen Normalzustand zurückgeführt werden.
Die Länder befürchten hingegen, dass ihnen dadurch die formale Grundlage für die Verordnungen zu den Corona-Maßnahmen entzogen wird und das zu einer Zeit, in der sich das Infektionsgeschehen erheblich verschärft. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte vergangene Woche nach dem überraschenden Spahn-Vorstoß darauf hingewiesen, damit würde eine Art indirekter »Freedom Day« drohen, an dem alle noch geltenden Maßnahmen beendet werden müssten. Die anderen Bundesländer sehen dies ähnlich. Die Ministerpräsidenten forderten bei ihrer jüngsten Jahrestagung im nordrhein-westfälischen Königswinter, die »epidemische Lage« noch einmal zu verlängern oder einen anderen bundesweit einheitlichen Rechtsrahmen zur Absicherung von Corona-Schutzmaßnahmen zu schaffen. In der Abschlusserklärung von Freitag heißt es, es sei »erforderlich, dass der Bund sicherstellt, dass Schutzmaßnahmen über den Herbst und Winter hinweg in den Ländern aufrechterhalten werden können«. Ihnen müsse für einen befristeten Zeitraum die Möglichkeit eingeräumt werden, »zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 weiterhin erforderliche und geeignete Maßnahmen zu treffen«.
Worum geht es genau? Im deutschen Staatssystem können Regierungen in Bund und Ländern in bestimmten Fällen Verordnungen erlassen, obwohl eigentlich die Parlamente mit ihren Volksvertretern der Souverän sind. Um dies nicht auszuhebeln, braucht es für Verordnungen oder Erlasse eine Gesetzesgrundlage. Bei den Corona-Maßnahmen liefert diese das in der Pandemie mehrfach geänderte Infektionsschutzgesetz. Dieses regelt nicht nur im Detail, welche Maßnahmen von Bund und Ländern ergriffen werden können, sondern in Paragraf 5 auch, dass der Bundestag zunächst die »epidemische Lage nationaler Tragweite« feststellen muss. Nach jeweils drei Monaten muss sie gegebenenfalls verlängert werden. Diese wäre am 25. November wieder der Fall.
Sollte dies nicht geschehen, müssten die Maßnahmen eigentlich aufgehoben werden. Lässt man sie einfach weiterlaufen, hätten Kritiker gute Aussichten, durch Klagen bei Verwaltungsgerichten diese zu Fall zu bringen. Um Verordnungen rechtssicher zu machen, müsste jedes einzelne Land sich ein eigenes Infektionsschutzgesetz basteln und durchs jeweilige Parlament bringen. Das wäre ein mühseliges und zeitlich kaum zu schaffendes Unterfangen - ganz abgesehen davon, dass dies eigentlich unnötig ist, da sich die age von Land zu Land ja kaum unterscheidet. Und nicht nur das: Die hektischen Aktivitäten in 16 Bundesländern wären ein gefundenes Fressen für rechte Querdenker, vor Ort Proteste zu veranstalten, und auch für die AfD, sich in den Parlamenten als Verteidiger der Freiheitsrechte der Bürger zu inszenieren.
Spahns Vorstoß ist umso erstaunlicher, als das Infektionsgeschehen aktuell wieder recht angespannt ist und sich im Verlauf der kalten Jahreszeit vermutlich weiter verschärfen wird. Eigentlich spricht dies für eine Verlängerung dessen, was der CDU-Politiker »Ausnahmezustand« nennt. Laut Infektionsschutzgesetz bedeutet »epidemische Lage nationaler Tragweite«, dass »eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland droht oder stattfindet«. Daran besteht derzeit trotz aller Fortschritte bei der Pandemie-Bekämpfung eigentlich kein Zweifel. Ob der Bundestag dem scheidenden Gesundheitsminister folgen wird, ist daher zweifelhaft.
Doch warum hat Spahn überhaupt den Vorstoß gemacht? Der CDU-Mann ist bekannt für eine gewisse Hybris - will er als Politiker, der die Pandemie in Deutschland für beendet erklärt hat, in die Annalen eingehen? Es könnte auch sein, dass er, bevor er als Minister abtritt und in die politische Bedeutungslosigkeit versinkt, noch einen Spaltpilz in die künftige Ampel-Koalition pflanzen möchte. Während gerade SPD-Politiker stark für weitere Maßnahmen werben, ruft besonders die FDP nach Lockerungen. Parteivize Wolfgang Kubicki bezeichnete bereits die Forderung nach einem bundeseinheitlichen Rechtsrahmen als »unverfroren und unsinnig«. Er schoss damit zwar erklärtermaßen nur gegen CSU-Chef Söder, doch die künftigen Koalitionspartner dürfen sich ruhig mit angesprochen fühlen.
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