• Kultur
  • Religiöse Rechte in den USA

Ein einflussreiches Netzwerk

Annika Brockschmidt analysiert detailreich die Evangelikalen in den USA und deren politische Rolle

  • Isabella A. Caldart
  • Lesedauer: 5 Min.

Als ein Konglomerat aus Rechtsextremen, Trump-Fans, rechten Christen und Verschwörungsgläubigen (die meisten von ihnen waren alles zusammen) am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington, D.C. stürmten, äußerten weltweit Politiker*innen und Journalist*innen ihre große Überraschung über den aufgebrachten Mob. Expert*innen allerdings waren wenig erstaunt; sie hatten seit Langem, spätestens seit dem Wahlsieg Joe Bidens im November 2020 beziehungsweise der Nichtanerkennung des Sieges durch viele Republikaner, vor einem Ereignis wie diesem gewarnt.

Wer ebenfalls nicht überrascht war, ist Annika Brockschmidt. Brockschmidt ist bisher vor allem auf Twitter bekannt; unter dem Handle @ardenthistorian folgen ihr fast 50 000 Menschen, die ihre ausführlichen Threads mit politischen Analysen vor allem zu Deutschland und den USA schätzen. Jetzt hat die freie Journalistin, die vor Kurzem in die »Top 30 unter 30«-Liste des »Medium Magazins« gewählt wurde, mit »Amerikas Gotteskrieger« ein komplexes Buch darüber veröffentlicht, »Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet«, so der Untertitel. Darin seziert Brockschmidt den christlichen Nationalismus und seine Ehe mit der Republikanischen Partei.

Grundwissen vorausgesetzt

Vorweg sei gesagt: Dieses Buch ist kein Buch für Leser*innen, die wenig Ahnung von den USA haben. Wem Namen wie Steve Bannon, Nancy Pelosi, Sarah Palin oder Mitch McConnell nichts sagen, wer nicht zumindest grob weiß, wie der Supreme Court funktioniert, wofür der Fernsehsender Fox News steht oder was das Kürzel GOP bedeutet, ist hier schnell verloren. »Amerikas Gotteskrieger« ist keine Einführungsliteratur in US-amerikanische Politik und Gesellschaft, sondern ein Buch, das in die Tiefe geht, wie es sonst nur auf Englisch verfasste Werke tun.

Man kann zugegebenermaßen leicht den Überblick verlieren bei den vielen Namen von Personen und Netzwerken, den vielen Fakten. Es gleicht einem Wunder, dass Brockschmidt es nicht tut (es gibt ein gut 60 Seiten starkes Quellen- und Literaturverzeichnis im Anhang). Aber ist am Ende nicht so schlimm, wenn man sich nicht jedes Detail merkt, denn wichtig ist die übergreifende Aussage des Buches: Weiße Evangelikale und rechte religiöse und politische Organisationen sind wahnsinnig gut miteinander vernetzt - und ihr Einfluss reicht sehr viel weiter, als die meisten ahnen.

Niederlagen als Teil des Plans

Annika Brockschmidt räumt in »Amerikas Gotteskrieger« mit vielen Mythen auf und wird dabei einige Leser*innen verblüffen. Wussten Sie, dass sich die Republikaner erst in den siebziger Jahren zu den militanten Abtreibungsgegner*innen gewandelt haben, als die wir sie heute kennen? Weil der Partei klar war, dass sie mit ihrem eigentlichen Thema, dem Kampf gegen die Segregation, nicht die breite Masse mobilisieren würde, suchte sie sich ein anderes. »Nicht die Liberalisierung von Abtreibung, sondern die Aufhebung der Segregation war also der wesentliche Treiber für die Neuformierung der Religiösen Rechten«, so die Autorin. Und dieser Treiber zieht: »Eines hat sich seit den Gründungsjahren der neuen Religiösen Rechten in den 1970er Jahren nicht geändert: Der Kampf gegen Abtreibung ist nach wie vor der Denkmantel für den Griff nach politischer Macht einer radikalen Gruppe mit einer hochmotivierten Basis.«

Diese radikale Gruppe hat mit der Wahl von Trump zum Präsidenten natürlich ihren Höhepunkt erreicht. Es mag verwundern, dass er ausgerechnet von evangelikaler Seite so viel Unterstützung bekam, obwohl er kein sonderlich religiöser Mensch ist und mutmaßlich nie die Bibel gelesen hat, auf die die weißen Evangelikalen doch so schwören. Wer aber genauer hinschaut, erkennt die Parallelen in der Weltanschauung radikaler Christen und Kapitalisten, wie Brockschmidt erläutert: »[In] großen Teilen des konservativen Evangelikalismus werden strukturelle Benachteiligungen aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder sozialem Hintergrund bestritten, weil deren Existenz den Grundannahmen des Glaubens zuwiderläuft. Wieder spielt hier die Kombination aus Kapitalismus, freier Marktwirtschaft, Individualismus und White Privilege eine zentrale Rolle.« Auch patriarchale Strukturen haben eine große Bedeutung: In der heterosexuellen Kernfamilie ist der Mann das Oberhaupt, im christlichen Glauben Gott - die einen bauen aus religiösen Gründen auf das Papa-Mama-Kind-Ideal, die anderen wissen, dass die genaue Arbeitsteilung gut für die wirtschaftliche Stabilität ist. »Die Kombination aus rassistischem Nationalismus und Religion begründete nicht nur die Existenz des menschenverachtenden Wirtschaftssystems der Sklaverei mit der Bibel, sondern gleichzeitig die Herrschaft des Weißen Mannes über alle Lebensbereiche.«

Vorbereitung auf die Midterm-Wahlen

Aber natürlich geht es in »Amerikas Gotteskrieger« nicht nur um Trump, schließlich ist die gesamte Historie der USA rassistisch und religiös geprägt. Brockschmidt rollt die Geschichte vor allem seit dem 20. Jahrhundert auf, erläutert viele Hintergründe, verschiedene radikale christliche Gesinnungen und die Bedeutung von christlich-radikalen Filmen und »Televangelists« wie Fernsehpredigern, erklärt den Einfluss entsprechender Medien, die Gefahr des Homeschooling-Systems, außerdem Verschwörungstheorien bis hin zur Corona-Pandemie - und schließlich den Sturm auf das Kapitol. Und schärft uns ein: Auch wenn es mit Joe Bidens Wahl vielleicht einen temporären Rückschlag gab, denken viele der Evangelikalen in Jahrzehnten, sogar Jahrhunderten. »Niederlagen sind Teil des Plans, sie werden als notwendige Schritte auf dem Weg zum Ziel gesehen.« Ein Ziel, das besagt, die Trennung von Kirche und Staat und die Religionsfreiheit Stück für Stück abzuschaffen.

Optimistisch stimmt das Buch von Annika Brockschmidt nicht. Sie malt nicht den Teufel an die Wand, sondern erläutert nüchtern, welche Auswirkungen die Netzwerke der religiösen Rechten und vor allem die vergangenen Trump-Jahre und die Weigerung vieler Republikaner, seine Wahlniederlage anzuerkennen, für die Midterm-Wahlen im November 2022 und die Präsidentschaftswahlen 2024, auf die man sich in den USA schon jetzt langsam vorbereitet, haben können. Gerade deswegen ist es so wichtig, »Amerikas Gotteskrieger« zu lesen. Wir können nicht behaupten, man hätte uns nicht gewarnt.

Annika Brockschmidt - Amerikas Gotteskrieger, Rowohlt Polaris, 416 Seiten, Paperback, 16 Euro.

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