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Alle gegen eine in Portugal
Sozialisten verweigern Zugeständnisse und fallen auch links mit ihrem Haushaltsentwurf durch
Kompromisse in letzter Minute wurden nicht gefunden, die politische Krise in Portugal ist da. Einen Rücktritt hat Ministerpräsident António Costa von den sozialdemokratischen Sozialisten (PS) sofort nach der Ablehnung des Haushaltsentwurfs seiner Regierung im Parlament am Mittwochabend ausgeschlossen. Die rechte Opposition wittert Morgenluft und fordert die Ansetzung von Neuwahlen zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Am besten gleich nach den Weihnachtsfeiertagen wünscht sich der Chef der rechtsliberalen PSD, Rui Rio, die Bescherung, sie sollte »nicht auf die zweite Januarhälfte verschoben werden«.
Eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen hatte der konservative Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa bereits im Vorfeld der Abstimmung bei einem Scheitern des Etats angekündigt. In den kommenden Tagen will sich de Sousa mit den Vertretern der Parteien dazu konsultieren. Ein Sinneswandel des Staatschefs gilt als unwahrscheinlich.
Nach zweitägiger Debatte hatten dem Vorschlag der Regierung allein die 108 Abgeordneten der PS zugestimmt. Die vierköpfige Fraktion der Tierschutzpartei PAN enthielt sich. Alle anderen im 230 Sitze zählenden Parlament vertretenen Parteien stimmten dagegen. Entscheidend für den Ausgang war die Ablehnung durch den Linksblock (BE), der Kommunistischen Partei (PCP) und der mit ihr alliierten Grünen (PEV). Mit ihrem Nein endet auch ihre unverbindliche Tolerierung der Sozialisten. Von 2015 bis 2019 hatten die drei Parteien einen neuartigen Pakt auf der Basis separater politischer Übereinkommen, die »Geringonça«, mit der PS geschlossen. Für die aktuelle Legislaturperiode war er nicht erneuert worden.
Die PCP hat einen Strategiewechsel vollzogen, fordert große statt kleiner Schritte. Vor einem Jahr hatten die zehn KP- und die zwei grünen Abgeordneten den Etat in der Schlussabstimmung mit ihren Enthaltungen noch passieren lassen. Zuvor hatte die PCP in den Beratungen mehr Mittel für Gesundheits- und Bildungseinrichtungen durchsetzen können. Festgeschrieben worden war auf ihre Initiative hin auch eine großzügigere Entlohnung von Beschäftigten in Kurzarbeit und eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstützung während der Coronakrise.
Kommunisten und Linksblock fordern jetzt insbesondere, die milliardenschweren Corona-Hilfen der EU für öffentliche Dienstleistungen und Verbesserungen der Lage der Beschäftigten einzusetzen. Grundsätzlich geht es den Parteien links der PS darum, das unter der Ägide der Troika liberalisierte Arbeitsrecht mit einer Aufweichung des Kündigungsschutzes und der massiven Ausweitung von befristeter und prekärer Beschäftigung zu reparieren und die Verarmung der Arbeitenden zu stoppen. Für zu viele Portugiesen ist der gesetzliche Mindestlohn auch bereits das Ende der Fahnenstange. Mehr als 1,6 Millionen der etwa 10 Millionen Einwohner leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze von derzeit 540 Euro im Monat.
Der ganz große Sprung ist mit Costas Sozialisten jedoch nicht zu machen. Die Frage des Arbeitsrechts wollten sie aus der Debatte um den Etat heraushalten. Den öffentlich Beschäftigten sollten mit einer Lohnsteigerung von 0,9 Prozent real Einkommensverluste zugemutet werden. Auch bei den geforderten kostenlosen Kitaplätzen und einer Rentenerhöhung mauert die Regierung. Die PS spekulierte darauf, dass die kleineren Parteien angesichts der Popularität des Premiers und der hervorgehobenen Rolle der Exekutive in der Pandemie eine vorgezogene Wahl scheuen müssten. João Oliveira, Vorsitzender der PCP-Fraktion bestreitet, dass seine Partei nach dem Prinzip »Alles oder nichts« verhandelt hat, und schiebt den Schwarzen Peter der PS zu. Die Sprecherin des Linksblocks Catarina Martins nennt den Haushaltsentwurf »dürftig«: Er würde weder der Misere im öffentlichen Gesundheitswesen entgegenwirken »noch den Kaufkraftverlust bei Löhnen und Gehältern stoppen«.
Vor wahrscheinlichen Neuwahlen noch in die Wege leiten will die Regierung eine Erhöhung des Mindestlohns ab Beginn des kommenden Jahres von 665 auf 705 Euro. Bis 2025 soll er nach den Plänen der PS auf 850 Euro steigen. Für das Votum der Wähler sieht sich die Partei gut aufgestellt.
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